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Gesellschaft & Religion Varoufakis sieht das Ende des Kapitalismus voraus

Ein halbes Jahr lang war er der berühmteste Grieche Europas. Dann war er plötzlich weg, der Finanzminister in Lederkluft. Jetzt blickt Yanis Varoufakis zurück auf das Jahr 2015 und voraus in eine Zukunft, die er als libertärer Marxist mitgestalten will.

Was wurde er verteufelt letztes Jahr: als Brandstifter, der das europäische Haus abfackeln will, als linker Populist ohne Krawatte und ohne Manieren, als Lügner. Und dann steht Yanis Varoufakis Mitte Januar 2016 im Medienzentrum des Bundeshauses, schüttelt den Technikern die Hand, freut sich über das gebrochene Griechisch des Moderators und wirkt total entspannt.

Schliesslich ist er nun wieder, was er vorher schon war: ein charismatischer Wirtschaftsprofessor mit hoher Vermittlungskompetenz. Mit dem kleinen Unterschied, dass ihn nun fast alle kennen.

Wie bringt man Leute dazu, Steuern zu zahlen?

So hört man beispielsweise, er hätte seine Kollegen im EU-Ministerrat jeweils mit marxistischen Theorien eingedeckt, als diese bloss wissen wollten, wann denn endlich das geschuldete Geld komme. Ob das stimmt, ist nicht zu überprüfen, denn die Sitzungen sind nicht öffentlich. Varoufakis würde das sofort ändern, wenn er könnte.

Und er würde noch viel mehr ändern: «Wir haben sehr hohe Steuersätze und sehr tiefe Steuereinnahmen in Griechenland». Nun sei die Frage, wie man die Leute dazu bringe, dass sie ihre Steuern bezahlten.

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«Wir müssen die Steuersätze senken und den Griechen – in Anlehnung an Rousseau – einen Sozialvertrag anbieten: Wir senken den Steuersatz, ihr bezahlt eure Steuern. Doch die Troika aus Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und der Europäischen Kommission wollte damals und will noch immer, dass wir die Steuern erhöhen.»

Die Troika habe die Regierung von Alexis Tsipras dazu gezwungen, ein Gesetz zu akzeptieren, wonach alle Unternehmen bis hinunter zum Einmannbetrieb Ende 2015 im Voraus sämtliche Steuern für 2016 zu bezahlen hätten, sagt Varoufakis. «So etwas macht man nicht – ausser man will in einem Land die Einkommen, die Wirtschafts- und Kaufkraft senken.»

«Ich bin ein libertärer Marxist»

Varoufakis will das Gegenteil: Er will mittels Steuersenkungen die Kaufkraft erhöhen und Investitionen ermöglichen. Er sei zwar Marxist, aber eben ein libertärer Marxist, das ginge oft vergessen: «Ich schätze die Freisetzung kreativer und innovativer Kräfte, die der Kapitalismus ermöglicht, aber die dauernden Übergriffe von Preis und Wert in den sozialen und politischen Bereich führen am Ende zur Versklavung des Menschen.»

Doch der Kapitalismus untergrabe sich selber, analysiert der Wirtschaftswissenschaftler weiter: «Marx’ grösster Beitrag zu meinem Verständnis der Welt ist die Erkenntnis, dass technologische Innovation die sozialen Beziehungen destabilisiert: Das Internet zum Beispiel oder der 3D-Drucker werden dazu führen, dass sich der Kapitalismus selber zerstört.» Wer brauche noch Firmen, wenn zwischen dem Designer eines Produktes und dem Produkt eine direkte Beziehung möglich ist?

Ob Varoufakis’ Prognose eintrifft, steht noch in den Sternen. Bleibt die Frage, warum der Wirtschaftswissenschaftler lieber als Popstar der Linken denn als Minister durch Europa tingelt. Er pariert gekonnt und mit einem verschmitzten Lächeln: «Ich habe im Herbst nicht fürs Parlament kandidiert, weil ich Politik machen will.»

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