So hat man sich ein Medium nicht vorgestellt: kräftige Statur, bodenständig, ehemaliger Polizist und Berufssoldat. Es ist ein strahlender Sonntag, auf der Zürcher Josefswiese leuchten die Herbstfarben. Drinnen, im katholischen Jugendtreff «jenseits im Viadukt», sind Jenseitskontakte angekündigt, vermittelt durch den «Spirit Reader» Alex Hurschler.
Jeder kann auf seinen Bauch hören
Dieser stellt sich vor zwei Dutzend Neugierigen und erzählt von seinem Bauchgefühl, mit dem alles angefangen habe. Schon als Kind habe er seine tote Schwester gesehen. Er spüre also Verstorbene, sie machten sich bei ihm bemerkbar. Er habe gelernt, diese Zeichen zu verstehen und für die Lebenden zu «übersetzen».
Und los geht's. Jeder könne dieses Bauchgefühl entwickeln, erklärt Hurschler. Ziemlich unsicher versuchen sich junge Leute im Zeichenlesen und im Bauchgefühl, der Meister hilft sanft nach. Der verstorbene Vater – lebte er in der Stadt oder auf dem Land? Parterre oder zweiter Stock?
Jenseitskontakte im katholischen Jugendtreff
Die Veranstaltung ist Teil des «GEISTlabors» , einer Reihe mit Experimenten im «spirituellen Erfahrungsraum», wie es der Co-Organisator und Jugendseelsorger Adrian Marbacher nennt. Es geht augenscheinlich darum, Sinnsuchende im Zürcher Trendquartier über Jenseitskontakte an ihre christlichen Wurzeln heranzuführen.
So etwas bringt den Religionskritiker Hugo Stamm auf die Palme. «Junge Katholiken missionieren mit Esoterik», bloggt er auf Tagesanzeiger.ch und fragt sich, ob die katholische Kirche im Treffpunkt «jenseits» zur Volksverdummung beitrage.
In der SRF-Sendung Sternstunde Religion äussert sich die reformierte Theologin und Sterbebegleiterin Brigitte Becker einiges gelassener über die esoterischen Praktiken: Bei ihr habe sich noch kein Toter zurückgemeldet.
Sie erlebt vor allem die Schwierigkeit des Abschiednehmens und des Loslassens. Die Trauer produziere mitunter vielfältige und auch fantasievolle Bilder.
«Der Christ vertraut auf Gott»
Und was sagt das zuständige Bistum dazu? Aus Chur sind kritische Töne zu hören. Esoterisch geprägte Medien, sagt Bischofssprecher Giuseppe Gracia, bezögen sich oft auf besondere Fähigkeiten, die ihnen exklusives Jenseitswissen gäben. Der Christ hingegen vertraue auf Gott. Natürlich glaube er an eine unsterbliche Seele, aber der Geheimnischarakter dessen, was nach dem Tod geschehe, dürfe nicht angetastet werden.
Hinter vielen Formen der Esoterik verberge sich das Verlangen, sich Dinge des Jenseits dienstbar zu machen. «Sämtliche Formen der Wahrsagerei sind zu verwerfen», zitiert er den Katechismus.
Für den konkreten Anlass lehnt Bischof Huonder jegliche Verantwortung ab, lässt er ausrichten. Die Institution «jenseits im Viadukt» sei unter neuer Leitung, und gegen diese habe der Bischof keinen Widerstand geleistet, da er «sowieso nicht viel machen kann, insofern die Anstellungsbehörde autonom vom Bischof handeln kann.»
Experiment mit Reflexion
Die Geister flüstern auch an diesem strahlenden Sonntag. Nach der Demonstration von Alex Hurschler folgt eine Diskussion in der Gruppe. Auf dem Fragebogen zur Reflexion steht: «Welche Gefühle habe ich während dem Experiment empfunden?» Wie viele verstorbene Mütter oder Väter anwesend waren und wo die Grenze zur Fantasie genau verläuft, muss letztlich jeder für sich selbst entscheiden.