Roman Signers Spezialität sind Versuchsanordnungen mit buchstäblich explosivem Ausgang. Der 75-jährige Künstler hat sich einen Namen gemacht mit spektakulären Aktionen, in denen er sich selbst Gefahren aussetzt. Er lässt sich mit einer Rakete die Mütze vom Kopf schiessen oder betritt einen gefrorenen See, auf dem er einbricht und sich nur mit Müh und Not retten kann. Immer bei den Projekten mit dabei: die Kamera. Denn was er tut, macht er auch fürs Publikum
Das Risiko ist Teil von Signers Arbeit: «Ohne Risiko passiert in der Kunst nichts. Man muss etwas wagen. Auch wenn man nicht weiss, was dabei herauskommt.» Gleichzeitig relativiert der Künstler. Es gehe ihm gar nicht in erster Linie darum, das Risiko herauszufordern. «Eigentlich bin ich vorsichtig und bereite meine Aktionen gut vor. Oft liegen die Gefahren da, wo man sie gar nicht vermutet».
Phil Hayes Spiel mit dem Scheitern
Der Performer Phil Hayes will es mit seinen Projekten immer wieder von Neuem wissen. «Wenn ich ein Projekt starte, weiss ich meistens nicht, wohin es mich führt.» Der britische Künstler wohnt seit 15 Jahren in Zürich und ist in der freien Tanz- und Theaterszene unterwegs. Er ist einer der bemerkenswertesten Künstler der aktuellen hiesigen Performancekunst. Dem Zwischenbereich von Kunst, Theater und Tanz, in dem Schauspieler in keine Rollen mehr schlüpfen und ihre Texte selber erfinden.
Links zum Artikel
Es reiche ihm nicht, wenn jemand ein Instrument gut beherrsche und einfach seine Fähigkeiten präsentiere, sagt Phil Hayes, der in seinen Projekten die Bühne zu einem theatralen Experimentierfeld macht. «Ich versuche, mich selbst immer wieder neu herauszufordern und möchte, dass jeder Abend zu einem einmaligen Moment wird.» Mögliches Scheitern inbegriffen.
Jedesmal die Geschichte neu erfinden
Seine jüngste Arbeit «Rumours and Legends» ist jeden Abend anders. Zusammen mit den Performancekollegen Maria Jerez aus Madrid und Thomas Kasebacher aus Wien improvisiert Phil Hayes jede Vorstellung von neuem: Ein Wohnzimmersetting, ein Tisch, ein Sofa, ein Bett. Sie unterhalten sich, erörtern, wer wo stand, wer wen dabei angeguckt hat, ob die Musik laut oder leise war.
Erst mit der Zeit merkt man, dass dieser Moment, den die Performer zu erinnern versuchen, nicht etwa in der Vergangenheit liegt, sondern Gegenwart ist. Das Hier und Jetzt. Wie entsteht aus der Gegenwart eine Legende? Mit dieser Frage betreten sie – von einigen Spielregeln und Abmachungen und durch viel Spielerfahrung abgesichert – allabendlich die Bühne. Mit offenem Ausgang. Ob eine Vorstellung gelungen ist oder nicht, können sie erst danach beurteilen.
Erleben und beobachten
Das Publikum sieht ihnen dabei zu, wie sie zu Hochform auflaufen oder den Faden verlieren. Das gehört zur Versuchsanordnung. Und gerade darin liegt ein grosser Teil des Vergnügens für die Zuschauenden. Sie gehen mit den Performern auf eine Reise, deren Ziel niemand kennt. Sie können dabei sein, wenn diese mit dem Risiko flirten. Der Bühnenraum wird dabei zu einem Erlebnisraum für Erkenntnisse, die so im normalen Leben kaum möglich sind.
Doch auch der Kunstraum ist kein Ort jenseits der sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen. Auch wenn die meisten damit einverstanden sind, dass in der Kunst Risiken eingegangen werden, stellt sich die Frage, ob Scheitern tatsächlich erlaubt ist. Was, wenn ein Künstler die Gunst des Publikums, der Fördergremien und der Medien verspielt hat?
Die Schweizer Filmszene: Eine geschützte Werkstatt?
Am stärksten zugespitzt präsentiert sich die Situation hierzulande in der Filmbranche. Wie alle anderen Kunstgattungen lebt auch diese weitgehend von staatlichen Subventionen. Und da es beim Film jeweils um sehr viel Geld geht, sind die Verfahren entsprechend reglementiert.
Um Subventionen zu bekommen, muss ein Filmproduzent nachweisen, dass er das wirtschaftliche Risiko minimiert hat. Und er muss Eigenmittel einschiessen. «In der Schweiz gehen Produzenten durchaus ein Risiko ein», sagt Ivo Kummer, Chef Sektion Film beim BAK: «Ein finanzielles Risiko für die Produzenten ist immer dabei. Das schreibt sogar das Subventionsgesetz vor. Und dann kommen noch alle nichtkalkulierbaren Risiken dazu: das Wetter etwa, das zu Drehverzögerungen führen kann, die zu Buche schlagen.»
Die Gefahr bei alledem ist, dass mit der Minimierung des Marktrisikos auch das künstlerische Risiko zunehmend eingeschränkt wird. Aus Kosten- oder Quotengründen. Der Kunst dient das nicht, wenn das Risiko zu Scheitern immer mehr ausgeschlossen wird.