Die Wahlkampfberichterstattung haben Sie wissenschaftlich verfolgt. Teilen Sie die Meinung von Peter von Matt. War das wirklich ein Cabaret?
Linards Udris: Wir haben es in der Tat mit einem Wahlkampf, respektive mit einer Wahlberichterstattung zu tun, die aus zwei Gründen problematisch ist: Erstens war die Berichterstattung relativ inhaltsarm. Da gebe ich Peter von Matt Recht. Wir haben das am Institut in einer eigenen Studie untersucht und konnten dort sehen, dass rund die Hälfte der Parteienresonanz dadurch zustande kam, dass man nicht über Sachthemen sprach. Es wurde diskutiert über Wahlkampf im engeren Sinn: Listenverbindungen, Parteistrategien, Wahlkampf-Events oder Prognosen. Der zweite Grund war, dass die andere Hälfte, wo es um Sachthemen ging, sehr ungleich auf die verschiedenen Themen verteilt war. Dominiert wurde die Berichterstattung nämlich eindeutig von Ausländer- und Asylfragen. Zentrale Fragen zur Zukunft der Schweiz, wie zum Beispiel die Reform der Altersvorsorge oder die anstehende Unternehmenssteuerreform, die spielten kaum eine Rolle.
Aber warum haben sich die Medien da einspannen lassen und nicht auf eine Antwort beharrt?
Wenn wir von «Einspannen» reden, hilft es, erst einmal den diesjährigen Wahlkampf mit früheren zu vergleichen. Schauen wir uns die drei letzten Wahlkämpfe an, dann würde ich folgende These in den Raum werfen: Dieses Jahr haben es die Medien besser gemacht als vor acht Jahren, aber weniger gut als vor vier Jahren. Vor acht Jahren konnte die SVP ihre provokative Kampagne sehr erfolgreich und mit sehr hoher Medienresonanz durchziehen. Die Medien wurden damals wirklich eingespannt. Vor vier Jahren war die Berichterstattung zwar relativ inhaltsarm, aber gleichzeitig konnte keine Partei wirklich ein Thema setzen. Dieses Jahr war die Berichterstattung auch relativ inhaltsarm. Die SVP konnte ihre Themen, zwar nicht so stark wie 2007, aber im Vergleich mit anderen Parteien doch viel besser setzen.
Der rein plakative Wahlkampf wurde mit Stimmen belohnt. Geht der Trend so weiter wie dieses Jahr?
Davon ist auszugehen, wenn sich an den grundlegenden Strukturen nichts ändert: welche Ressourcen Parteien zur Verfügung haben oder ob sie diese Ressourcen offenlegen müssen. Auch die Strukturen im Journalismus, wenn sich an denen nichts ändert, gehe ich davon aus, dass dieser Trend weiter geht.
Sehen Sie einen Weg, wie man die Qualität der politischen Wahlberichtserstattung in Zukunft verbessern könnte?
Man muss auf verschiedenen Ebenen ansetzten, verschiedene Aspekte anschauen. Was das Publikum betrifft, da braucht es sicherlich mehr Aufklärung, also auch Aufklärung, was guten Journalismus überhaupt ausmacht und dass guter Journalismus halt etwas kostet. Ein oberflächliches Informieren durch Gratiszeitungen, das man dann ein bisschen ergänzt durch ein paar Gratis-Klicks auf News-Sites, das reicht wohl nicht. Wenn man sich so informiert, dann kriegt man eben vor allem Prognosen und Wahlspektaktel vorgesetzt. Also zum Beispiel, dass ein Grünen-Politiker per Newsletter den politischen Gegner aufruft, das Wahlplakat zu gestalten oder man kriegt den «Freiheits-Song» der SVP vorgesetzt.
Das heisst also, man muss die Leute wieder dazu bringen, für Journalismus wieder zu bezahlen?
Das ist richtig. Und was die Medien betrifft, braucht es grössere Anstrengung, nicht nur den einen oder anderen kritischen, ich nenn‘s jetzt mal Wahlkampf-Artikel zu bringen. Das gab es durchaus. So eine reflexive Beobachtung, dass nämlich der diesjährige Wahlkampf inhaltsleer war. Da waren die Medien auch sensibel. Aber was wir kaum beobachtet haben war, dass die Medien mit eigenständigen Recherchen, längeren Reportagen versucht haben, selber Themen zu setzen. Zum Beispiel eine Reportage zu machen, wie sich denn die anstehende Unternehmenssteuerreform konkret in verschiedenen Bereichen auswirken würde. Das hätte halt eben bedeutet, Zeit und Geld in teure, eigene Recherchen einzusetzen.