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Gesellschaft & Religion Warum ein britischer Friedhof in Gaza steht

Nur wenige Touristen verirren sich nach Gaza, obwohl es dort einige Sehenswürdigkeiten gibt. Neben der Kirche des Heiligen Porphyrius, einer der ältesten Kirchen des Christentums, und einigen guten Fischrestaurants kann man auch Ungewöhnliches entdecken: einen britischen Militärfriedhof.

Ob ich die Friedhöfe sehen will, fragt mich der Taxifahrer auf dem Weg von Gaza nach Rafah. Der Gärtner sei ein Freund von ihm. Selbstverständlich will ich. Und so steuert er seinen alten Mercedes über holprige Strassen, an denen viele junge Männer arbeitslos vor Autowerkstätten sitzen, fährt an Olivenbäumen und Müllhalden vorbei und biegt schliesslich auf einen kleinen Parkplatz ein.

Mohammed Awaja erwartet uns schon. Er ist Chefgärtner des Militärfriedhofs von Deir el Belah. Stolz präsentiert er uns seine Identitätskarte, die ihn als Mitarbeiter der Commonwealth War Graves Commission ausweist. Seit 17 Jahren kümmert sich Awaja um dieses fussballfeldgrosse Stück Land im Gazastreifen. Und sein Werk kann sich sehen lassen: Der Rasen ist perfekt getrimmt, zwischen den Grabsteinen blühen Pflanzen in Rot, Lila, Weiss und Gelb. 719 identifizierte Männer sind hier begraben, die meisten seit 1917.

Altes Bild in Schwarz-Weiss: Soldaten stehen aufgereiht in der Wüste,
Legende: Inspektion bei einer Einheit der Egyptian Expeditionary Force im März 1918. Imperial War Museum

Umkämpftes Gaza

In jenem Frühling versuchten Soldaten der britischen «Egyptian Expeditionary Force» die Stadt Gaza einzunehmen. Vergeblich. Palästina, Syrien, Libanon sowie die heutigen Staaten Jordanien, Israel und Irak waren bis Anfang des 20. Jahrhunderts Teil des Osmanischen Reiches. Und obwohl die arabischen Stämme mit den Osmanen den Glauben teilten, regte sich Widerstand gegen die Obrigkeit, allen voran im Hedschas, dem westlichen Teil des heutigen Saudi-Arabiens.

Als Hussein ibn Ali, der damalige Sheriff von Mekka, hörte, dass er von der osmanischen Regierung abgesetzt werden sollte, wandte er sich an die britische Regierung, die gegen das Osmanische Reich Krieg führte.

Zusammen mit dem Hohen Kommissar der Briten in Kairo, Henry McMahon, plante Hussein ibn Ali die Eroberung der arabischsprachigen Gebiete südlich der heutigen Türkei. Das Ziel war die Errichtung eines unabhängigen arabischen Reiches. Und eine der wichtigsten Städte dieses zu errichtenden Reiches war natürlich Damaskus, das lange bevor es Juden, Christen und Muslime gab, bereits eine florierende Stadt war.

Altes Schwarz-Weiss-Foto: Hussein ibn Ali mit Kopftuch und Bart
Legende: Hussein ibn Ali erhielt bei seinem Kampf gegen das Osmanische Reich Unterstützung von den Briten. Wikimedia

Widersprüchliche Abkommen

Die Zusammenarbeit zwischen dem Herrscher von Mekka und dem Britischen Empire wurde in der so genannten Hussein-McMahon-Korrespondenz festgelegt. Darin ist von einem unabhängigen arabischen Reich die Rede, aber nicht von genauen Grenzen. Insbesondere die zukünftige Herrschaft über die Küstengebiete Syriens und Libanons blieb undefiniert. Ausserdem vereinbarte Grossbritannien mit Frankreich bereits 1916 im geheimen Sykes-Picot-Abkommen die Aufteilung des Nahen Ostens nach Kriegsende. Und schliesslich sicherte der britische Aussenminister Arthur James Balfour 1917 den Zionisten die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina zu. Palästina, so der damalige Plan, sollte von Grossbritannien verwaltet werden.

Australier in Damaskus

Von diesen sich teilweise widersprechenden Plänen hatte Hussein ibn Ali jedoch keine Kenntnis. Überhaupt war die so genannte Arabische Revolte ein Etikettenschwindel, wie der britische Historiker David Fromkin in seinem Buch «A Peace to End All Peace» darlegt. Der Anteil der arabischen Kämpfer beschränkte sich auf wenige Tausend. Die restlichen Truppen stammten aus allen Ecken des Britischen Empires. So eroberten schliesslich australische Soldaten Damaskus im September 1918. Der von Grossbritannien eingesetzte Anführer Faisal kam zu spät; sein triumphaler Einzug in Damaskus musste für die Nachwelt nachgestellt werden.

Abgeschlossenes Gaza

Wer heute die Friedhöfe in Gaza Stadt und Deir el Belah besuchen will, muss eine Ausreisebewilligung Israels sowie eine Einladung der Regierung des Gazastreifens vorweisen. Beide sind nur sehr schwer zu bekommen. Als Alternative war bis vor kurzem die Einreise über den ägyptischen Sinai möglich. Doch seit dem Sturz Mohammed Mursis bleibt auch dieser Grenzübergang oft geschlossen.

Für die Palästinenser ist das eine Katastrophe. Und so bezeichnen nicht wenige ihren kleinen Fleck Land als grosses Freiluftgefängnis, wo nur wenig Güter rein und noch weniger Menschen raus dürfen. Umso mehr freut sich Chefgärtner Mohammed Awaja, dass sich wieder mal ein Tourist auf «seinen» Friedhof verirrt und die Geschichte desselben erzählen will, und serviert Tee.

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