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Gesellschaft & Religion Warum lachen Mörder?

Warum töten Massenmörder – und warum lachen sie dabei? Begründet werden die Taten zumeist ideologisch, politisch oder religiös. Die wahren Gründe sind aber andere, sagt der Kulturhistoriker Klaus Theweleit in seinem neuen Buch «Das Lachen der Täter».

Klaus Theweleit im Gespräch

Filmszene: Nahaufnahme des lachenden Henry Fonda
Legende: Das Lachen von Henry Fonda in «Spiel mir das Lied vom Tod» liess Klaus Theweleit keine Ruhe. Paramount Pictures

Es beginnt mit einem Film: mit der Schlüsselszene aus Sergio Leones berühmtem Italo-Western «Once upon a Time in the West», «Spiel mir das Lied vom Tod».

Henry Fonda spielt den Killer. Und dieser Killer lächelt. Er lächelt auch, als er eine Farmerfamilie umbringt. Sie ist der Eisenbahn im Weg beim Bau nach Westen. Er tötet einen nach dem anderen und zuletzt den kleinen Sohn der Familie, er tötet und er lächelt.

Breivik hat Deutungsinteresse provoziert

Der Kulturwissenschaftler Klaus Theweleit beginnt mit dieser Sequenz sein neues Buch. Die Tat des Killers hat sich Theweleit eingeprägt, im Kino, 1968. Aber Theweleits Impuls ist jetzt ein anderer. Der Impuls kommt aus der Wirklichkeit. Die Tat hat stattgefunden. Anders Behring Breivik heisst der Mann, der Theweleits Deutungsinteresse provoziert. Der Norweger Breivik tötet vor vier Jahren 69 Menschen, auf einer Ferieninsel der Arbeiterjugend in der Nähe von Oslo.

Auch Breivik tötet und lächelt. Darauf kommt es an. Brevik lacht bei seinen Taten, er lacht seine Opfer aus, verhöhnt ihre Fluchtversuche, und er lächelt, als er später in Oslo vor Gericht steht, seine Tat überall in den Schlagzeilen ist. Warum? Warum das Lachen der Täter? Theweleit sucht Antworten und er sieht darin ein «Psychogramm der Tötungslust», zugleich Anstoss und rote Linie seiner Fragen und Recherchen, seiner Thesen und Theorien.

Auf der Spur des Tötens

«Männerphantasien revisited», sagt Theweleit. «Männerphantasien», das ist Ende der 1970er-Jahre der grosse Wurf. Manchmal gelesen wie eine Droge, macht das Buch in zwei Bänden den Autor über Nacht berühmt. Klaus Theweleit wird ein Star der Theorie, und er entwickelt erstmals seine eigene Methode: ein Amalgam aus Psychoanalyse, Literaturforschung und diversen anderen Quellen.

Damals deutet er die deutsche Freikorps-Literatur der 1920er-Jahre neu. Jetzt folgt er der Spur des Tötens quer durch Räume und Zeiten, von Norwegen nach Afrika, Ostasien und Lateinamerika. Von den Kindersoldaten in Ruanda über die Dschihadisten des «Islamischen Staates» bis zu den Attentätern von Paris. Für Morde und Attentate ist Ideologie nur Vorwand, das ist Theweleits zentrale These. Ideologie ist allenfalls das Motiv, sich abzusichern, höheren Ortes, Rechtfertigung zu finden in Religion, Rasse oder Staat.

Psychogramme des Tötens

Die Lust am Töten steht für sich. Aber sie ist nicht allgemein. Sie braucht einen bestimmten Täter-Typ, meint Theweleit, und sie braucht bestimmte Voraussetzungen. Ein Machtvakuum beispielsweise und einen Freiraum von staatlicher Organisation. Dann kann getötet werden, frei von Strafe und Verfolgung. Das Lachen des Täters ist Ausdruck seines Triumphes. Seine Gruppe und er setzen eigenes «Recht», eigene Gesetze des Handelns, die auch Mord ausdrücklich genehmigen.

Dabei ist die Öffentlichkeit im Spiel, mediale Öffentlichkeit. Die Tat wird abgebildet und im Bild weitergegeben. Auch darin liegt ihre Wirkung, sie ist ein Signal an andere. Gewalt wird so Performance. Bei diesem «staging» wird nach Theweleit der mediale Widerhall ebenso wichtig wie die Tat selbst.

Der Täter ist für ihn zuerst ein «fragmentierter Körper», jederzeit bedroht von seiner «Zerfallsangst». Eine psychisch unsichere Person, ohne Halt in sich und in der Gesellschaft, die ihn umgibt. Ein Killer, der töten muss, um sich selbst intakt zu fühlen. Intakt auch im Kollektiv, das dieser unsicheren Person doch etwas Halt gibt. Die Tat «vernichtet die Opfer und belebt die Täter», sagt Theweleit.

Unter der dünnen Haut der Zivilisation

Theweleits Thesen arbeiten mit den Mitteln der Psychoanalyse und der Sozialpsychologie. Sprunghaft und assoziativ bewegt er sich durch ein umfangreiches Recherchefeld und bekommt doch klare Konturen in sein tief pessimistisches Bild von der «Tötungslust». Sie liegt verborgen und abrufbar unter der dünnen Haut der Zivilisation.

Anders Breivik, der junge Norweger, sah sich als «Tempelritter», der das Abendland gegen die sogenannte islamische Bedrohung der Gesellschaft verteidigt. Er hat seine Taten auf über 1500 Seiten im Internet begründet. Das Gericht in Oslo bekommt nur sein Lächeln.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 22.05.2015, 12:10 Uhr

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