Kunigunde, Achilles und Beatrix – diese Namen klingen in unseren Ohren ziemlich exotisch. Im 13. Jahrhundert waren sie jedoch völlig normal. Mehr noch: Sie waren so weit verbreitet, dass man die vielen Achilles kaum auseinanderhalten konnte.
Der Sprachwissenschaftler Jürgen Mischke ist Experte auf dem Gebiet der Namensentwicklung. Soeben ist seine Dissertation erschienen, darin untersucht er die Entstehung der Familiennamen am Beispiel von Basel. Sein Fazit: «Familiennamen im Mittelalter sind nicht wie bisher angenommen einfach so entstanden, sondern im Gegenteil: Das Mittelalter hat die Familiennamen gemacht .»
Es fehlt an Namen für die Bevölkerung
Bis ins 12. Jahrhundert war es üblich, dass jede Person nur einen Namen hatte. Diese Rufnamen speisten sich aus einem Fundus aus Heiligen- und altgermanischen Namen. Somit waren sie in ihrer Vielfalt begrenzt. Anders als heute galt es damals nicht als erstrebenswert, möglichst originell zu heissen. Man bevorzugte Namen, mit denen man sich in eine lange Tradition anerkannter kirchlicher oder sagenhafter Vorbilder einreihen konnte.
Ab dem 13. Jahrhundert wuchs die Bevölkerung Mitteleuropas stark an, vor allem in den Städten. Die wachsende Bevölkerung bei gleichbleibender Zahl möglicher Rufnamen führte zu einer immer grösseren Gleichnamigkeit. In einer Zeit der wachsenden Bedeutung von Urkunden und Handel wurde dies zunehmend unpraktisch.
Und was tut man, um die eine Gertrud von der anderen zu unterscheiden? Man verleiht beiden weitere Attribute, versucht, sie durch weitere Eigenschaften im Namen voneinander abzugrenzen. Diese Differenzierung vollzog sich in Basel im Verlauf des 12. und 13. Jahrhunderts und folgte einem Top-Down-Prinzip: Erst erhielten die Adligen Zusätze zu ihren Rufnamen, dann die Beamten und schliesslich auch die Kaufleute und Handwerker.
Fünf Kategorien für die neuen Nachnamen
Die attributiven Zusätze, aus denen später Familiennamen werden sollten, können in fünf verschiedene Kategorien unterteilt werden. Sie bildeten sich erstens als Patronyme, waren also vom Namen des Vaters abgeleitet, so zum Beispiel Berchtold Nikolaus. Zweitens entstanden sie über die Berufsbezeichnung, etwa Hugo Schmid. Drittens verwiesen sie auf die Herkunft – Hedwig von Blotzheim – und viertens erwähnten sie die Wohnstätte, so bei Konrad von Kohlehäusern. Der fünfte Typ unter den Namenszusätzen bildeten Übernamen, die den Charakter oder das Aussehen der jeweiligen Person beschrieben, also etwa Irma Mannvertreib.
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Neben der Gleichnamigkeit nennt Mischke weitere Gründe für das Entstehen von Nachnamen. Rechtliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen im 12. und 13. Jahrhundert führten dazu, dass die «pragmatische Schriftlichkeit» in Basel Einzug hielt: Mündliche Vereinbarungen traten in den Hintergrund, die Schrift begann ihren Siegeszug.
Neues Familienkonzept
Dazu gehörte, dass sich die Rechtsstellung der Individuen veränderte: Das Konzept der Familie entwickelte sich und erleichterte es, Besitz von einer Generation auf die nächste übergehen zu lassen. Um deutlich zu machen, wer zu einer Familie gehörte, wurden die ursprünglich nur an ein Individuum gekoppelten Zweitnamen auch auf die Nachkommen übertragen – das Entstehen von Familiennamen war also alles andere als bloss eine Mode, es war von grossem Nutzen.
Im Verlauf der Jahrhunderte wurden aus diesen zunächst flexiblen Zuschreibungen feste Familiennamen, die spätestens im Zuge der Fixierung der Verwaltung im 18. Jahrhundert regelmässig vererbt wurden. Auch dann, wenn die Urenkelin von Irma Mannvertreib schon längst keine Männer-Vertreiberin mehr war.