Sie haben vor vielen Jahren eine grosse Arbeit über die «Strukturen des Bösen» geschrieben. Wie sehen Sie den eskalierenden islamistischen Terror?
Eugen Drewermann: Gewalt entsteht in der Regel aus Minderwertigkeitsgefühlen, aus Ressentiment, aus Missachtung. Wir haben seit 2001 islamische Staaten niedergebombt. Wir haben in Afghanistan, im Irak, in Libyen, in Somalia, in Yemen hegemoniale, geostrategische Ziele verfolgt. Gewalt hinterlässt Gewalt, das ist eine furchtbare Dialektik. Und jetzt hört man überall, Gewalt sei nur mit Gewalt zu bekämpfen. So ist es unmöglich, aus der Blutmühle rauszukommen.
Der Anti-Terror-Krieg soll den Zugriff auf Ressourcen, Handelswege und Absatzmärkte durchsetzen. Das erzeugt endlose Gewalt. Die Amerikaner haben im Irak alleine durch ihre Bombardements mehr als 600‘000 Menschen getötet. Und wir fühlen uns verpflichtet, im Namen der Humanität, in Syrien nichts weiter zu tun als zu bomben.
Wie steht um das Gewaltpotenzial der Religionen?
In den letzten 200 Jahren hat kein islamischer Staat einen westlichen Staat angegriffen. Aber wir, die sogenannt christlichen Länder im Abendland, haben mit der Kolonialpolitik im ganzen Nahen und Mittleren Osten, in ganz Nordafrika bis weit nach Hinterindien unsere Interessen mit Gewalt durchgesetzt. Das geschah im Namen Gottes.
Aber das rechtfertigt keinen Terror.
Natürlich ist es ein Anachronismus, die Todesstrafe zu exekutieren im Namen Gottes. Doch was wir tun, ist nicht weniger schlimm. Wir instrumentalisieren die Humanität, teilen Menschen ein in Gut und Böse und rechtfertigen so das Morden. Da drüben sind die Unmenschen, die «Feinde der Welt», wie der «Stern» getitelt hat. Also sind wir legitimiert, sie auszurotten, als ob es um Ungezieferbekämpfung ginge? Auch die Leute vom IS sind Menschen. Man kann als Alternative zur Gewalt nichts weiter tun, als zu reden miteinander.
Wie meinen Sie das?
Da wäre vieles wieder gut zu machen an Respekt gegenüber dem Islam. Er war einmal und ist noch immer ein Reformversuch, der im 7. Jahrhundert den Dogmatismus des Christentums überwinden wollte durch einen Einheitsglauben. Mohammed wollte so von Gott sprechen, wie es Noah, Abraham und Jesus getan haben: Gott kann nicht verschieden sein. Er ist immer der Gleiche, und er sagt jedem, was nötig ist. Darin könnten alle Religionen sich einigen. Dann müsste das Christentum von ein paar dogmatischen Verfestigungen lassen. Beide Religionen, das Christentum genauso wie der Islam, müssten lernen, sich symbolisch zu verstehen.
Was halten Sie von der These, dass das Gewaltpotenzial der Religionen etwas mit dem Monotheismus zu tun hat?
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Das Christentum, das Judentum und der Islam verstehen sich als Offenbarung, als von Gott gegeben und in dem Sinne absolut. Als ob das fixierte Wort identisch wäre mit dem Göttlichen. Wir haben im 19. Jahrhundert mühsam gelernt, dass die Texte historisch gelesen werden müssen – ein ungeheurer Affront gegen die tradierte Kirchendogmatik. Dieser Prozess, das muss ich zugeben, ist im Islam in der Weise nicht erfolgt. Konnte es aber auch nicht unter den Voraussetzungen. Da wäre ein fruchtbarer Austausch dringend nötig und geboten.
Die mythischen Religionen können in ihrer Weise genauso gewalttätig sein: Die Assyrer glaubten an Marduk. Er war ihr Kriegsgott. Die Griechen hatten ihren Kriegsgott, die Römer hatten ihren Kriegsgott. Also es ist nicht wahr, dass die mythischen Religionen, nur weil sie bildhaft dachten und keinen religiösen Absolutismus vertraten, die Gewalt aussen vor gelassen hätten.
Und der Monotheismus?
Der Monotheismus hat die ganz grosse Chance, die menschliche Person zu vereinheitlichen: Eine absolute Person ruft eine menschliche Person in den Dialog, in eine Verantwortung. Geistesgeschichtlich ist das eine Kulturschwelle, ein unerhörtes Novum, das wir der Bibel verdanken, und das im Koran weiterlebt. Das kann variieren und changieren. Es ist wie, wenn die Sonne sich in den Farben des Regenbogens auf einer Wolkenwand spiegelt: Es schillert, und es wäre falsch zu sagen, Gott ist rot, oder er ist blau. Nur weil er uns so erscheint. Dahinter ist die reine weisse Farbe des Lichts, die sich bricht in den verschiedenen Kulturen.