Philippe Marone öffnet ein Schränkchen am Boden des Wohnwagens. Darin stapeln sich Aktenordner. Sie enthalten seine Scheidungspapiere, Korrespondenzen mit dem Jugendamt, Dokumente zum Konkursverfahren und Therapieunterlagen seines Arbeitsunfalles. «Alles, was meine Vergangenheit betrifft», sagt der 56-Jährige und schüttelt den Kopf.
Seit drei Jahren wohnt der ehemalige Bauunternehmer und Vater von vier Kindern auf dem Campingplatz in Vidy, unweit von Lausanne. Mit seinem Schicksal ist der Welschschweizer hier keinesfalls alleine. Etwa 50 Dauergäste beherbergt der Campingplatz im Winter.
Für den Film in einen Wohnwagen gezogen
Im Januar 2013 haben Steven Artels und Raphaël Engel Menschen zwischen Genf und Lausanne besucht. Wie Marone haben diese ihre Wohnung über kurz oder lang in einen Wohnwagen umgetauscht.
Der Regisseur und der Journalist sind für ihren Film selber in einen Caravan gezogen. Drei Wochen trotzten sie der Kälte, das Thermometer zeigte oft Minus 13 Grad. Doch die Mühe habe sich gelohnt: «Dadurch, dass auch wir im Wohnwagen gewohnt haben, haben uns die Menschen mehr vertraut», sagt Engel.
Die Filmemacher wollten die Wohnungsnot in der Romandie – seit Jahren ein akutes Thema – schon lange filmisch behandeln. Beim Joggen ist der Produzent im wahrsten Sinn des Wortes fast über das Sujet gestolpert. Tatsächlich fanden sich viele Campingplatzmieter in der Umgebung, die sich die horrenden Wohnungsmieten in der Romandie nicht mehr leisten konnten. Dies, obwohl einige von ihnen Arbeit haben. Andere zwang Verschuldung oder eine Scheidung zum Umzug. Die Philippinerin Tess wiederum spart hier Geld für ihre Söhne, die tausende von Kilometern entfernt leben. Der über 70-jährige Frank organisierte früher in seiner Residenz Empfänge und Geschäftsessen. Heute befreit der einstige Millionär sein kleines Reich auf Rädern vom knietiefen Schnee.
Wohnungsnot treibt auf den Campingplatz
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Auf dem Campingplatz in Vidy finden die Dokumentarfilmer auch einen Spanier, der seine Grossfamilie zurückgelassen hat. Er schläft im Hinterteil seines VW-Busses. In der Schweiz hofft er auf Arbeit.
«Wir haben auf den Plätzen viele Südländer angetroffen, die Arbeit suchen», erzählt Raphaël Engel. Der im Film porträtierte Spanier habe nach Abschluss der Dreharbeiten eine Stelle als Maler erhalten. Aber er musste aber 14-Stunden-Tage leisten und das auch noch unterbezahlt. Schliesslich sei er wieder in die Heimat zurückgekehrt, um dort Arbeit zu finden.
«Glücklich, hier zu sein»
Einst war es als Übergangslösung gedacht. Aber für viele Bewohner des Campings ist das Leben auf wenigen Quadratmetern zur permanenten Wohnsituation geworden. Das Leben in einem Haus wäre schlicht zu teuer. Selbst jetzt bleiben Philippe Marone abzüglich der Miete für den Wohnwagen zum Leben lediglich etwa 30 Franken pro Tag von der Sozialhilfe.
Doch scheint er nicht verzweifelt – im Gegenteil. «Ich bin nicht stolz hier zu sein, aber ich bin glücklich. Es gibt Leute, die sich für mich schämen oder Mitleid mit mir haben», sagt der vierfache Vater. Bereuen tue er nichts.
Ein Leben abseits vom Alltagsstress
Viele der Campingplatzbewohner gehen pragmatisch mit ihrer Lage um, erkennen auch Vorzüge. «Der Wohnwagen gehört mir, deswegen fühle ich mich frei», sagt einer von ihnen. Manche, wie Marone, schöpfen Kraft aus der Ruhe der Natur, fern vom Autolärm und dem Alltagsstress.
Hier schätzen sie den Respekt, mit dem man sich auf dem Campingplatz begegnet und den Zusammenhalt der Bewohner. Frank, der mit 30 Jahren Unsummen von Geld erbte, lebt heute mit 1000 Franken im Monat. Gemeinsam mit den anderen sitzt er draussen bei Kerzenschein und Fondue an einem Tisch. «In Träumen lebt es sich besser in Schlössern als in der Wirklichkeit, und die menschliche Wärme hier ist wirklich toll. Ein Schlossherr kann nicht ohne Freunde leben», sagt er, dick eingehüllt in Schal und Pelzmütze, mit kaltem Nebel vor dem Mund.