Marin Trenk
Kulinarisch ist heute vieles möglich. Fast alles. Jeder Supermarkt führt Produkte, von denen wir vor einigen Jahrzehnten nur träumen konnten – vorausgesetzt wir wussten davon, dass es sie gibt. Auch die arbeitsscheue Variante des Convenience-Food hat mächtig aufgemotzt: «Komfortabel» kochen muss nicht mehr zwingend in einer pampigen Spätzlipfanne enden.
Es darf gereist werden: Nach Indonesien zum Beispiel, mit einem klassischen Bami Goreng. Oder Indien, mit einem Chicken Tikka Masala? Oder ein asiatisches Mah Mee? Die einzige Arbeit in der Fertiggericht-Ecke ist die Auswahl aus einem bunten, kulinarischen Eldorado.Dann nur noch das Gericht in die Pfanne hauen und sich von den exotischen Geschmäckern in ferne Welten zaubern lassen. – Oder?
Ethno-Fantasy
Einer, der den scharfen Blick hat für die Exotik in unserer Esslandschaft, ist Marin Trenk, Food-Ethnologe und weitgereister Esser. Er nimmt das hierzulande erhältliche Asian Mah Mee mit geübtem Auge unter die Lupe. Und hat nur ein leises Lächeln übrig: «Das ist durch und durch pseudoasiatisch. Es gibt keine Küche Südostasiens, wo man so etwas bekommen kann.»
Trenk verbannt das Mah Mee in den Bereich «Ethno-Fantasy». Fiction. Frei erfunden. «Wenn man Nudeln sieht und Chopsticks dabei, dann ist die Assoziation mit irgendetwas Asiatischem gegeben. Es suggeriert Exotik, ist aber schlicht ein Geschnetzeltes.»
Die Lebensmittelindustrie gauckelt uns eine Vielfalt vor, sagt Trenk. Mit Convenience-Ethno-Food essen wir aber eine Küche, die drastisch reduziert ist auf einige wenige Geschmäcker, nachempfunden für den mitteleuropäischen Konsumenten.
Multikulti ist uralt
Die Globalisierung des Essens hat sich in den letzten Jahrzehnten stark beschleunigt und Marin Trenk zu seinem Buch «Döner Hawaii» motiviert. Er schaut darin auf die Multikultisierung der Küche, eine eigentlich uralte Angelegenheit. Er bricht die Wege der Speisen auf drei Globalisierungswellen herunter: Angefangen bei der Verbreitung unverarbeiteter Lebensmittel nach der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus. Kartoffeln, Mais, Chili, Tomaten. Martin Trenk: «In der Schweiz kommt kein Mensch auf die Idee, wenn er seine Rösti ist, dass er da einen Anschluss an die Inka-Esskultur gefunden hat.» Dann der Siegeszug einzelner Speisen während der Kolonialzeit, die Eroberung Englands durch den indischen Curry zum Beispiel.
Von der dritten Globalisierungswelle spricht Trenk bei der Verpflanzung ganzer Küchen im Zeitalter der Migration. Angefangen mit der chinesischen und italienischen Migrantenküche in Nordamerika. Und später die Etablierung von Ethnofood in Europa im Zuge der wachsenden Arbeitsmigration in der Nachkriegszeit. Und heute ist alles möglich: «Es gibt Pizza in Peking, Curry in Köln, Sushi in Stockholm und Döner in Thailand. Wir sind zu Ethnofoodländern geworden.»
Domestizierter Ethnofood
Marin Trenk wertet diese Entwicklung zunächst positiv. Eine kulinarische Horizonterweiterung. «Wenn etwas unser Verhältnis zu Essen in den letzten 500 Jahren charakterisiert, dann, dass wir immer offen neue Dinge aufgenommen haben.» Was dann allerdings passiert, ist die Aneignung der Speisen im Einwanderungsland. Hier beginnt das Dilemma.
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Diese «Indigenisierung», als was es die Ethnologen bezeichnen, führt zu einer Trivialisierung der Speisen. Marin Trenk: «Wir passen uns die Gerichte an den herrschenden Geschmack an. Man isst zwar gerne exotisch, aber es darf nicht wirklich anders schmecken, als man gewohnt ist. Das ist ein Spagat, der nur schwer zu begehen ist.» Das Fremde wird ausgemerzt, Sperriges und Anstössiges eliminiert. Es kommt wohl oder übel zu einem reduzierten Geschmackshorizont, trotz vermeintlich vielfältigem Angebot.
Kulinarisch konfus
Der experimentierfreudige Kulinariker Trenk plädiert dafür, wieder mehr zu kochen. Dem grassierenden «kulinarische Analphabetismus» müsse Einhalt geboten werden. Wenn wir montags Pasta mit Pesto essen, dienstags eine Mexikopfanne, Mittwoch Gulasch mit Maggi fix, Donnerstag eine Pizza, tiefgefroren, und freitags ganz traditionell Fisch, als Fertiggericht Provençal – so die Beobachtung von Trenk beim Speiseplan seiner Studenten – dann sind wir nicht horizonterweitert, sondern kulinarisch konfus und haftungslos. «Man braucht eine Anbindung an eine Tradition, nur dann weiss man, wie die Welt kulinarisch aussieht. Wenn wir mit einem zufällig zusammengewürfelten bunten Programm an Fertigspeisen aufwachsen, dann fehlt uns das wesentliche Element kulinarischer Bildung.»