«Lieber, böser Niklaus. Nun sprechen und schreiben sie alle von Dir.» Mit diesen Worten begann der Schriftsteller Franz Hohler den Nachruf auf seinen Freund Niklaus Meienberg. Lieb und böse – wütend und mutig. So nehme ich Niklaus Meienberg wahr, wenn ich seine Texte lese. Als sich Niklaus Meienberg das Leben nahm, war ich fünf Jahre alt. Wie spreche und schreibe ich heute, 20 Jahre später, von ihm? Welche Rolle spielt er in meinem Beruf? Ich las Texte von Niklaus Meienberg während meines Studiums, doch in meinem Alltag als Journalistin sind sie kaum präsent. Weshalb?
Der Blick soll nüchtern sein
Die Wut ist mir zu gross. Für meinen Geschmack spielt die Persönlichkeit Meienbergs zu stark in den Journalisten Meienberg hinein. Ich glaube, dass für Niklaus Meienberg das Schreiben über seine Protagonisten oft auch ein Schreiben über sein eigenes Leben war.
Bei meiner Arbeit als Journalistin trenne ich klar zwischen meinen eigenen Emotionen und dem Gegenstand oder der Person, über die ich berichte. Mein Blick soll so nüchtern und objektiv wie eben möglich sein.
Zwar bin ich als Person immer präsent, ich wähle aus, ich gewichte, ich formuliere in meiner eigenen Sprache. Und wenn ich während einer Recherche wütend und emotional werde, dann kann mich das durchaus antreiben, meine Arbeit besser zu machen. Aber im Endprodukt sollte man diese subjektive Emotion nicht spüren.
Niklaus Meienbergs Wut beeindruckt mich aber auch, denn er übte seinen Beruf mit unglaublicher Konsequenz aus. Das Schreiben war seine Existenz, er war Journalist mit Haut und Haar. Ein Unbequemer, der keine Kompromisse machte. Genau diese Radikalität verunmöglicht mir aber, Meienberg als Vorbild für das eigene Verständnis von Journalismus zu sehen.
Eine Prise Meienberg ist wünschenswert
Ich glaube, dass der Journalist Meienberg nur im damaligen Zeitgeschehen in dieser Form denkbar war: Die Subjektivität seiner Texte, seine Eitelkeit wenn es um die eigene Arbeit ging, die Dualität seiner Weltansicht und die Gnadenlosigkeit, wenn es darum ging, auszuteilen. Dies sind alles Züge, die mir heute nicht mehr gefragt scheinen, zumindest nicht in informativen Journalismus-Formaten.
Doch «Tot ist einer erst, wenn sich niemand mehr an ihn erinnert», schrieb Niklaus Meienberg über den Hitler-Attentäter Maurice Bavaud. Und tot ist Niklaus Meienberg bestimmt nicht. Denn sein Mut war einzigartig. Er hat festgefahrene Denkmuster aufgebrochen, hat nachhaltig irritiert, hat Geschichten, die bis dahin nur aus Sicht der Obrigkeiten geschildert wurden, aus Sicht der Unterdrückten erzählt. Und dieser Mut von Niklaus Meienberg inspiriert mich trotz seiner Widersprüchlichkeiten.
Er ist eine Inspiration, um meine eigene Rolle als Journalistin und meine Arbeitsmethoden zu hinterfragen. Denn eine Prise Meienberg ist wünschenswert – auch im heutigen Journalismus. Niklaus Meienberg hat vorgelebt, dass es Mut zur Autorenschaft braucht, Mut zur Hartnäckigkeit und Mut, Geschichten zu erzählen.