«Schön sehen sie aus, aber einfach zu schön, um gut zu schmecken!» So denken immer mehr Menschen im Supermarkt: Sie gehen an den perfekten Tomaten oder Äpfeln der Hochleistungslandwirtschaft vorbei und greifen zu alten Obst- und Gemüsesorten. Die dürfen dann auch gerne etwas schrumpelig oder sandig sein.
Seit Jahren wächst der Umsatz der «Pro-Specie-Rara»-Sorten beim Grossverteiler Coop. Die Migros wiederum hat im September zusammen mit Allnatura den ersten reinen Bio-Supermarkt in Zürich eröffnet. Dieser führt nun ebenfalls die alten Sorten. Diese neue Lust am Ursprünglichen scheint eine Gegenreaktion auf die jahrelange Industrialisierung der Landwirtschaft zu sein.
Was gut aussieht, muss noch lange nicht gut schmecken
Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich die Landwirtschaft zu einem regelrechten Industriezweig: Die Quantität stieg - doch die Qualität blieb auf der Strecke. Genauer: Nicht der Geschmack der Verbraucher bestimmte mehr, was gute Qualität ist, sondern die Interessen der Produzenten und Grossverteiler.
Die Supermärkte lernten schnell, wie verführerisch allein das gute Erscheinungsbild ist: Der Umsatz steigt, wenn Obst und Gemüse immer gleich aussieht und immer verfügbar ist. Solche Sorten bauten die Bauern nun an: Am liebsten die, welche dank dicker Schale auch noch stossfest und resistent gegen Schädlinge und Fäulnis sind.
Alte Sorten für Liebhaber
Das aber sind alles Kriterien, die bestenfalls nichts mit dem Geschmack zu tun haben. Schlimmstenfalls stehen sie dem Geschmack sogar entgegen. Geschmacksintensive Apfelsorten wie den «Hansueli»-Apfel findet man heute nur noch bei Liebhabern - oder bei Urs Heinzelmann in der Obstsortensammlung Roggwil (Thurgau).
Was in den Supermärkten nach Vielfalt aussieht, ist in Wahrheit Verarmung: Hier gibt es nur noch fünf bis sechs Apfelsorten und ebenso viele Tomaten. Bei den Wurzelgemüsen finden sich nur eine Sorte Randen und ein, zwei Karotten.
«Ochsenherz» und der «Süsse von Ungarn»
Wer dagegen in eine alte Gemüsefibel schaut, wie das «Album Vilmorin» von 1895, der findet dort Hunderte von Wurzelgemüsen, Kürbissen, Gurken und Peperoni. Sie alle waren einmal bei uns heimisch. Dennoch tragen sie so exotische Namen tragen wie «Corno di Toro», «Süsser von Ungarn» oder «Babura». Es gibt dort Tomaten, die aussehen wie Orangen und «Froschkönigs Goldkugel» heissen, «Ochsenherz» oder «Babuschka».
Retro- und Feinschmeckertrend bringen diese alten Sorten nun wieder ins Bewusstsein und zurück auf unsere Teller. Dabei haben sie sich nicht allein gegen die normierten Hochleistungssorten durchgesetzt. Früher musste auch grüne Tomaten oder lila Kartoffeln gegen Widerstände kämpfen. Diese liegen die in der Geschichte unserer Ernährung, sagt der Immunologe Beda Stadler vom Unispital Bern.
Trotzdem haben sich die alten Sorten durchgesetzt. Und der Trend hält weiter an - nicht zuletzt, weil unsere Werte sich verschieben: weg von der industriellen Produktion, zurück zum Selbstgemachten.
Back to the Roots
Der Garten ist alter und neuer Ort der Sehnsucht nach dem Paradies.Nichts ist hier virtuell, alles lässt sich anfassen und geniessen. Und so gräbt der moderne Stadtmensch - beseelt von Gartenglück - nach Steckrüben und Schwarzwurzeln, Petersilienwurzeln oder Pastinaken und fühlt sich neu geerdet, angekommen bei seinen alten Wurzeln.