Eng mäandert die Strasse den Hügel hinauf, die modernen Architektenhäuser stehen dicht an dicht, wie eigentlich überall am rechten Zürichsee-Ufer. Das Wasser funkelt um die Wette mit den noblen Karossen, die links und rechts des Weges stehen und vom Wohlstand ihrer Besitzer künden.
Unerwartetes Idyll an der Goldküste
So weit, so schön, so klischeehaft. Doch das wahre Idyll beginnt erst am Ende dieser Strasse: ein rund 600 Quadratmeter grosses Haus mit grossem Garten ringsherum, eingebettet in den historischen Ortskern. Oder das, was die Bauwut – wie in so vielen Goldküstenortschaften – noch davon übrig gelassen hat.
In dieser Umgebung lebt eine Gruppe von Menschen gemeinschaftlich organisiert, auf Nachhaltigkeit angelegt und weniger auf anonymes Neben-, denn herzliches Miteinander. Das ist nicht gerade eine Wohnform, die man hier an der Goldküste erwarten würde.
Wechselvolle Geschichte
Vor ziemlich genau zwei Jahren bezogen, teils neugierig, teils skeptisch von der Nachbarschaft beäugt, ein Dutzend Personen das 500 Jahre alte Gebäude. Acht Erwachsene, seinerzeit drei, heute vier Kinder und zwei Katzen.
Aufwändig und historisch fachgerecht war das denkmalgeschützte Haus teils in Eigenleistung saniert worden, um ein neues Kapitel aufzuschlagen in der wechselvollen Geschichte des Gebäudes: erst Winzer-, dann jahrhundertelang Pfarrhaus, später als Gemeindehaus genutzt, dann als Café-Restaurant und schliesslich einige Jahre Dornröschenschlaf mit der Aussicht, vom Meistbietenden abgerissen und durch einen gesichtslosen Neubau ersetzt zu werden
Der Traum vom gemeinschaftlichen Wohnen
Gut, entschied die Gemeinde anders. Seither erfüllt sich ein so harmonisches wie heterogenes Häuflein seinen Traum vom gemeinschaftlichen Wohnen, obwohl überwiegend nicht verwandt und nicht verschwägert. Die Bewohner sind keine Vertreter einer «Müesli- und Stricksockenfraktion» wohlgemerkt – obwohl beides im Haus natürlich zu finden ist, schliesslich mag man gesund leben und der schöne Garten dient nicht nur zur Erholung, sondern auch zur Versorgung – sondern einfach ganz normale Leute, in allen möglichen Berufen tätig, urban, offen, gern und viel unterwegs.
Umso besser, ist das Stadtzentrum von Zürich nur ein paar S-Bahnminuten entfernt. Ein kleines Paradies, zumal das zugrundeliegende Genossenschaftsmodell eine gewisse Flexibilität bietet, falls doch mal einer aussteigen will. Aber sicher auch ein Paradies mit Ecken und Kanten, denn solch ein Wohnprojekt erfordert ein ständiges Balancieren zwischen Kollektiv und Individuum. Gemeinschaft bedeutet nun mal Kompromiss und Rücksichtnahme, und das läuft dem menschlichen Bedürfnis nach Rückzug und Privatsphäre gelegentlich zuwider.
Spaghetti zur Versöhnung
Da kann das Haus noch so gross sein – wenn der Segen desselbigen schiefhängt, schrumpfen die 600 Quadratmeter mitunter auf die Grösse eines Schuhkartons. «Ich ziehe aus!», verkündete erst jüngst wieder eines der Kinder mit gepacktem Minikoffer und zornesroten Bäckchen – nur um Augenblicke später dann doch wieder einträchtig neben dem Verursacher des Wutanfalls zu sitzen, gemeinsam Spaghetti zu essen und es toll zu finden, dass immer jemand zum Spielen da ist.
Das Miteinanderreden und das sofortige Aufdecken und Ansprechen möglicher Konfliktherde sind der Kitt, der diese Wahlgemeinschaft zusammenhält. Und dass trotz aller Regeln ein entspanntes Miteinander herrscht. Für manchen Aussenstehende mag diese Art des Zusammenwohnens grundsätzlich nichts sein, viel zu anstrengend und verordnen liesse sie sich sowieso nicht.
Nach dem Essen am Gemeinschaftstisch
Aber mäandert man nach einem Besuch bei dieser munter-bunten Truppe wieder die Strasse hinab, hat mit ihr am grossen Gemeinschaftstisch gesessen, gegessen und geplaudert, dann kommen einem die glatten Architektenhaus-Fassaden noch anonymer vor als auch schon und die eigenen vier Wände eigentümlich still. Glückliches Wohnen – es geht auch anders.