Für Maria und Joseph war Jesus sicher das schönste Kind der Welt. Tatsächlich stritten aber schon die ersten christlichen Theologen, die Herren «Kirchenväter», darüber: War Jesus hässlich oder schön?
Für hässlich hielt ihn etwa Tertullian (2. Jh.). Mit «hässlich» meinte er: geschunden und mit Folternarben übersäht. Er zitiert dazu den Propheten Jesaja: « Viele haben sich über ihn entsetzt, so entstellt sah er aus, nicht mehr wie ein Mensch.» (Jes 52,14)
Anders Kirchenvater Origenes. Der bemühte Psalm 45, um den feinen Duft und schliesslich die Schönheit Jesu zu preisen: «Du bist der Schönste von allen Menschen, Anmut ist ausgegossen über deine Lippen.» (Ps 45,3)
Nicht mal die Haarfarbe ist überliefert
Die Rede von «schön» oder «hässlich» ist also bereits im 2. Jahrhundert eine theologisch-philosophische. Es ging den Theologen nicht darum, zu beschreiben, wie der Mensch Jesus wohl ausgesehen hat. Ihnen ging es um Jesus als Christus.
Im Neuen Testament – unserer wichtigsten Quelle – steht nichts darüber, wie gross oder klein, schlank oder dick Jesus gewesen sein mag. Noch nicht mal Haar- oder Augenfarbe sind überliefert.
Wie Jesus konkret aussah, darüber machen die frühen Christen keinerlei Angaben. Das habe die Evangelien schlicht nicht interessiert, betont die Neutestamentlerin Luzia Sutter Rehmann: «Ich habe darum wissenschaftlich gesehen meine Bedenken: Mit welchem Recht gehen wir da historisch auf etwas zu, das uns die Evangelien einfach nicht sagen wollen .»
Wahrscheinlich ein dunkler Typ
Dank Antikenwissenschaft und Bibelforschung wissen wir heute aber einiges über die Lebensumstände dieses Jesus. Was ihn umgab: der antike Nahe Osten, das Land und Volk Israel – das muss ihn geprägt haben, und so auch sein Aussehen. Das meint der Lausanner Neutestamentler Daniel Marguerat. In seinem neues Jesusbuch versucht er, einen «wahrscheinlichen Jesus» zu zeichnen.
Jesus habe mit Sicherheit einen dunklen Teint gehabt, braune Augen und braunes Haar. Aber viel mehr Äusserliches will auch Marguerat nicht aussagen. Es käme ohnehin vielmehr auf Jesu Botschaft an, auf seine Wirkung.
Jedenfalls: Gross, blond und blauäugig war Jesus sicher nicht.
Jesus könnte also so ausgesehen haben – ein Steckbrief:
- Dunkle Haare, braune Augen, dunkle Hautfarbe.
- Kleiner als Männer heute.
- Gekleidet in ein einfaches Sackgewand mit jüdischem Gebetsmantel oder zumindest Schaufäden darunter. Dünne Schuhe.
- Statur: Eher dünn, aber ausdauernd (das ist schon wieder umstritten).
- Eher mit Bart als ohne. Eher längere Haare als kurze.
- Ob er einen Stab zur Selbstverteidigung dabeihatte, so wie Hirten und Fuss-Reisende damals, ist umstritten. Ein Stab war eine Waffe. Das sahen die Römer nicht gern.
Das «wahre» Bild Jesu
Die christliche Kunst springt in die Leerstellen des Neuen Testaments. Dies aber nicht, um unsere moderne Neugier nach dem authentischen Jesus zu befriedigen, sondern um den Glauben auszumalen.
Christliche Ikonen sind traditionell verstanden «wahre Abbilder vom Urbild», also vom Originalbild einer heiligen Person. Die Idee: Schauen wir andächtig in eine Ikone, blicken wir durch dieses Abbild auf das Urbild.
Stilbildend für die westliche Kirchenkunst wurden das Schweisstuch der Veronika und das Turiner Grabtuch. Beide gelten als «im Himmel geschaffen».
Beim Turiner Grabtuch wird immer wieder die Echtheitsfrage gestellt. In der Theo-Logik christlicher Ikonen ist es «echt», weil «wahr» im Glauben. In naturwissenschaftlich historischer Logik ist es nicht «echt», weil nicht historisch.
Kunst und Kino prägen unser Jesusbild
Die Kunst, die Malerei, das Kino – sie haben wohl grösseren Einfluss auf das Bild, was sich Menschen von Jesus machen als alle wissenschaftliche Forschung.
Die Menschen trugen sich ihre Kultur und Zeit in die Jesusbilder ein. Auch ihre Schmerzen, Ängste und Hoffnungen sind ein Teil davon. Das zeigt etwa das Fastentuch aus Haiti von 1982. Es ist von schon fast erschreckender Aktualität.
Dies ist beileibe nicht der erste «schwarze» Jesus in der Kirchenkunstgeschichte. Zwar hängt bis heute ein imperialer «weisser Jesus» à la Thorvaldsen in afrikanischen Kirchen und Schulzimmern. Aber auch «der schwarze Jesus» hat Tradition. Am ältesten sind die äthiopischen Jesusdarstellungen.
Jesu Heimholung ins Judentum
Antikenwissenschaft, Theologie und Archäologie brachten in den letzten 100 Jahren mehr Licht in die antike jüdische Lebenswelt Jesu und setzten neue Spotlights auf die Person. Zum besseren Verständnis Jesu, seiner Weltsicht und Glaubenspraxis, tragen seit rund 150 Jahren auch jüdische Wissenschaftlerinnen und Gelehrte bei.
Manche erkennen in Jesus ihren «Bruder». Schalom Ben Chorin etwa sagte, er teile den «Glauben Jesu», nur nicht den «Glauben an Jesus». Die christliche Theologie hat davon gelernt. Heute betonen Forschung und Kirchen das Jüdisch-Sein Jesu sogar als grundlegend für das Verständnis seiner Lehre.
Wissenschaft und Neubewertung jüdischer Quellen erbringen also viel Neues. Allerdings auch immer mit viel kritischem Vorbehalt und unzähligen Fussnoten.
Jesus bleibt ein Unbekannter
Wer war nun also die Person Jesus, dieser jüdische Mann vor 2000 Jahren? Diese Frage kann historisch nicht beantwortet werden. Es habe kaum noch Sinn, die Rückfragen an den «historischen Jesus» weiter zu stellen, sagt Luzia Sutter Rehmann.
Und das sagte vor 100 Jahren schon Albert Schweitzer. Er konstatierte in seinem «Leben-Jesu-Buch», dass die historische Erforschung der realen Person Jesu immer in einer Aporie lande. In der Unmöglichkeit also, die Frage zu beantworten.
Die Faszination ist ungebrochen
Wir können die 2000 Jahre zwischen uns und dem historischen Jesus nicht überspringen. Zu «breit und garstig» ist dieser historische «Graben», wie schon Aufklärungsphilosoph Gotthold Ephraim Lessing schrieb.
Aller Skepsis zum Trotz: Die Faszination am «Historischen» bleibt. Jährlich erscheinen neue Bücher, Dokus, Spielfilme mit Jesus. Millionen Menschen, gläubige und ungläubige, reisen jedes Jahr nach Israel. Sie besuchen die «historischen Stätten Jesu».
Menschen lassen sich «wie Jesus» im Jordan taufen. Pilgerinnen und Pilger besuchen die «Geburtskirche» in Bethlehem. In der «Grabeskirche» von Jerusalem küssen Christinnen den Stein, auf dem Jesu Leichnam eingesalbt worden sein soll.
Leibhaftig eintauchen in Weltgeschichte
Säkulare Zeitgenossen mögen das bizarr finden. Solche Praxis entspringt aber der Sehnsucht, Jesus gleichsam haptisch näher kommen zu wollen.
Der Charme des scheinbar Authentischen zieht Menschen aus aller Welt ins Land Israel. Junge Leute mit Rucksack begeben sich auf den «Jesus-Trail» in Galiläa.
Sie treten hier gleichsam in die Fussstapfen Jesu. Und zur Abkühlung springen sie in den See Genezareth, um einmal zu baden – wie Jesus.