Navid Kermanis neues Buch «Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen» ist ein Gespräch. Eine 12-jährige fragt ständig nach Gott. Und ihr Vater versucht, neben den alltäglichen Herausforderungen des Haushalts, auch diese Challenge zu meistern.
Die Tochter will zum Beispiel wissen, warum Gott in den heiligen Schriften nicht deutlicher spreche, damit auch wir heute ihn verstehen können. Oder was «Gott» überhaupt sein soll. Und wie man wisse, ob das, was jemand glaubt, auch tatsächlich stimme.
Religiöse Ratlosigkeit
Der Vater verhehlt nicht, dass er in vielen Fragen rund um Gott, um das Böse oder um den Tod keine Antworten hat und selbst ratlos ist. Dennoch überschattet diese Ratlosigkeit sein Gottesvertrauen und sein Staunen nicht.
In einer Zeit von massenhaften Kirchenaustritten scheint es fast schon subversiv, Argumente für Gott zu liefern. Doch der Orientalist Navid Kermani schreibt nicht gegen die fortschreitende Säkularisierung an, die Europa erfasst hat.
7000 Jahre Zweifeln
Vielmehr seien das Zweifeln an sowie das Verzweifeln über Gott gerade zentral für verschiedene religiöse Traditionen. Solche Zweifel beschäftigen Menschen schon seit 7000 Jahren. Es fühle sich gut an, so Kermani, Teil dieser langen Kette von zweifelnden Menschen zu sein.
Denn das Zweifeln hilft einzusehen, dass die eigenen Probleme – so existenziell sie auch empfunden werden – schon frühere Menschen umgetrieben haben und künftig umtreiben werden.
Zweifeln gehöre also zum religiösen Leben dazu, ist der Autor überzeugt. Was ihn allerdings störe, sei die Ausbreitung von religiösem Unwissen. Denn man brauche eine religiöse Bildung, um sich frei für oder gegen den Glauben zu entscheiden, so Kermani.
Die Religion Fussball
Das «religiöse Staunen», über das Kermani schreibt, erfordert jedoch nicht zwingend komplexe Fragen über Gott. Eine quasi-religiöse Bindung könne man auch bei Fussballfans beobachten. Kermani ist denn auch selbst unverwüstlicher Fan des 1. FC Köln – und zwar, seit er drei Jahre alt ist.
Der Satz «Wir schwören dir hier auf Treue und auf Ehre» beispielweise ist nicht ein Bibelvers, sondern stammt aus einem Kölner Fangesang. «Der Fussball hat eine Ersatzfunktion für die Religion übernommen», argumentiert er.
Die sportliche Ekstase ähnle der Verzückung der heiligen Teresa von Ávila. Die Tränen erinnern an das Martyrium. Solch überbordende Emotionen sehe man beinahe nur noch im Sport.
Dankbarkeit und Abhängigkeit
Dem Staunen, das Navid Kermani hier als Weg zum Religiösen vorschwebt, liegt elementar auch die Dankbarkeit zugrunde. So sind im Koran die «Ungläubigen» wörtlich auch die «Undankbaren». Damit ist das Bewusstsein gemeint, dass wir Menschen «ganz grundsätzlich abhängig von Dingen sind, die wir nicht beeinflussen können». Wir sind also immer Teil einer Beziehung.
Diese existenzielle Ausgesetztheit geht oft vergessen. Man denke nur an unseren Atem, der das Elementarste und gleichzeitig unverfügbar ist. Dieses Gefühl könne einen zur Panik, aber auch zu Gelassenheit führen, Gottvertrauen eben. Kermani, der selbst religiös aufgewachsen ist, hat diese Haltung etwa an seiner Tante beobachten können.
Ob man nun solche Erfahrungen und damit einen religiösen Rucksack mitbekommen hat oder nicht: Mit dem Staunen über die Geburt, über das Universum und überhaupt darüber, dass etwas ist und nicht Nichts, beginnt ganz grundsätzlich das Denken und wohl auch die Dankbarkeit für das Leben an sich.
Und genau darauf lässt sich bauen. Ob als Gläubiger oder Ungläubiger.