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Die Kinderschutzgruppe des Kinderspitals Zürich
Aus Kontext vom 10.12.2018. Bild: Keystone / Steffen Schmidt
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Gewalt gegen Kinder Wenn der Kinderarzt Alarm schlägt

551 Mal schöpfte er Verdacht, 390 Mal lag er richtig: Der Chefarzt Notfall des Kinderspitals Zürich über Gewalt gegen Kinder.

«Ein Kind unter sechs Monaten sollte keine Blutergüsse aufweisen», sagt Georg Staubli, Chefarzt Notfall im Kinderspital Zürich und Leiter der dortigen Kinderschutzgruppe. Wenn doch, müsse man sich Gedanken darüber machen, wie es dazu kam.

«Wieso kann ein Kind, das sich noch nicht bewegen kann, solche Hämatome oder andere Verletzungen aufweisen?» Bei Verdacht auf Misshandlung spricht die Ärztin oder der Arzt mit den Eltern.

Arzt in weisser Kleidung in einem Spital
Legende: Als Arzt am Kinderspital sieht Georg Staubli viele Verletzungen. Bei Verdacht auf Gewaltanwendung reagiert er. Christian Schnur

«Ältere Kinder haben häufig Blutergüsse, weil sie sich bewegen. Bei ihnen kommt es darauf an, wo die Verletzungen zu finden sind», sagt Staubli. «Auffällig sind Verletzungen im Genitalbereich, am Rücken oder an den Innenseiten der Extremitäten.»

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Das Ausmass der Gewalt gegen Kinder
aus Kultur kompakt vom 15.06.2018. Bild: SRF / Sébastien Thibault
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Stabile Fallzahlen

In den letzten zehn Jahren sei die Zahl der Misshandlungsfälle, die in der Kinderschutzgruppe Zürich verzeichnet wurden, konstant geblieben, sagt Staubli. 2017 hat man 551 Mal Verdacht geschöpft, 390 Mal hat sich dieser bestätigt: Eltern haben ihr Kind körperlich, psychisch oder sexuell misshandelt oder haben es vernachlässigt.

Gesamtschweizerisch am häufigsten sind Vernachlässigung oder körperliche und psychische Misshandlung, oft sind Kinder auch von Gewalt in bestehender oder aufgelöster Partnerschaft und sexueller Belästigung betroffen. Die Dunkelziffer ist hoch.

Wie reagieren Eltern?

Kinderschutzgruppen, wie sie das Kinderspital Zürich 1969 schuf, leisten viel, um Misshandlungen aufzuklären und zu verhindern. Sie gehören heute zum Standard von Krankenhäusern.

«Sobald wir zu einem Verdacht gelangen, fragen wir die Eltern, wie eine Verletzung zustande gekommen ist», erklärt Staubli das Vorgehen. Man schaue dann, wie die Eltern reagieren.

«Grössere Kinder fragen wir selbst: Was hast du denn gemacht? Kinder, die sich verletzen, erzählen sehr gerne, was passiert ist.» Die Antworten klären vieles.

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Aus dem Archiv: Wie kann Gewalt an Kindern verhindert werden?
Aus Schweiz aktuell vom 30.04.2015.
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Zeit gewinnen

Verhält sich das Kind aber eigenartig oder bleiben die Eltern vage, hätten die Kinderschützer einen zweiten Anhaltspunkt. «Bei besonders schweren Verletzungen nehmen wir die Kinder stationär auf, um sie vor weiteren Gefahren zu schützen. So haben wir auch Zeit zum Abklären.»

Wenn die Eltern nicht einsichtig sind, oder wenn eine akute Gefahr für das Kind besteht, ergeht eine Meldung an die Behörde.

Wenn «die Hand ausrutscht»

«Eltern, die schlagen, sind in der Regel überfordert», sagt Georg Staubli. «Das sind nicht böse Eltern, sondern sie wissen nicht, wie sie mit diesem Kind umgehen sollen. Das sind eher Eltern, die nicht sehr autoritär erziehen und denen die Kinder schliesslich auf der Nase herumtanzen. Irgendwann wissen sie nicht mehr mit ihnen umzugehen.»

Hilfe für Eltern

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Nicht selten gäben Eltern zu, dass sie das Kind geschlagen haben, stellt der Kinderschützer fest, «aber sie verniedlichen es. Sie sagen: ‹Ich habe das Kind am Ohr genommen› oder ‹mir ist die Hand ausgerutscht›. Mit diesen Eltern kann man zu arbeiten anfangen.»

Rat des Kinderschützers

Was empfiehlt Georg Staubli den Eltern? «Holt Hilfe, wenn ihr merkt, ihr tut etwas mit eurem Kind, das ihr eigentlich gar nicht wollt.» Auch das Umfeld müsse reagieren und Zivilcourage zeigen, damit es gar nicht zu Verletzungen kommt.

«Es wäre wichtig, vorher einzugreifen, als Nachbar, als Verwandter.» Er wünscht sich einen gewaltfreien Erziehungsstil. «Auch als Erwachsener will ich nicht eine Ohrfeige bekommen, wenn ich etwas Dummes tue. Ich möchte, dass man das mit mir bespricht.»

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