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Ein Behinderten-Zeichen auf einer schwarzen Strasse.
Legende: Richtig, aber noch weit: Auf dem Weg zur Gleichstellung von behinderten Menschen gibt es noch einige Hürden. Photocase/ohneski
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Alltag und Behinderung «Gleichstellung ist ein Generationenprojekt»

Zu viele Hürden, zu wenig Hilfe? Andreas Rieder, Fachmann für die Integration von Behinderten, über die Stellung von behinderten Menschen in der Schweiz.

SRF: 2014 hat die Schweiz die Behindertenrechtskonvention der UNO unterzeichnet. Was hatten Sie sich damals erhofft?

Andreas Rieder: Der grösste Wunsch war, dass es nach der Einführung des Behindertengleichstellungsgesetzes 2004 zu einem weiteren Schwung kommt. Das ist passiert.

Ihr Wunsch wurde also eingelöst?

Was das angeht, ja. Jetzt kommt aber der zweite Wunsch. Und das ist nicht nur ein Wunsch, sondern eine Verpflichtung, die die Schweiz eingegangen ist. Nämlich die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention.

Die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention ist eine Verpflichtung.

Wo steht die Schweiz in Sachen Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen?

Wir sind an einem wichtigen Punkt. Wir haben seit 2004 einen zweifachen Ansatz in der Behindertenpolitik verfolgt. Einerseits geht es darum, dass man sich als Individuum in das gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Leben einbringen kann.

Im Gleichstellungsgesetz ist verankert, dass es eine Umwelt ohne Hindernisse zu schaffen gilt. Jedenfalls dort, wo sich Hindernisse vermeiden lassen. Seither hat es erhebliche Verbesserungen gegeben punkto Zugänglichkeit zu öffentlichen Bauten, Dienstleistungen im öffentlichen Sektor und im öffentlichen Verkehr.

Behindertenrechte in der Schweiz

Das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) trat 2004 in Kraft. Es regelt den barrierefreien Zugang zu öffentlichen Bauten und Anlagen, zum öffentlichen Verkehr, zu Wohngebäuden mit mehr als acht Wohneinheiten und Gebäuden mit mehr als 50 Arbeitsplätzen (unter Berücksichtigung von div. Bedingungen).

Behindertenverbände kritisieren aber, dass die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen in der Schweiz noch weit vom Ziel entfernt sei. Haben Sie zu wenig getan in den letzten Jahren?

Es kommt ganz auf die Perspektive an. Ich begreife natürlich aus der Sicht von Menschen mit Behinderungen, dass es mehr zu tun gibt. Es ist aber bereits viel geschehen, auch in der Einschätzung von Betroffenen.

Im Bereich der Sozialversicherung etwa. Der Assistenzbeitrag ist hier das Stichwort. Damit wird die Teilhabe und Selbstbestimmung gefördert. Es gibt Lücken, das gebe ich zu. Wenn man sieht, was die Behindertenrechtskonvention als Vision formuliert, dann haben wir noch ein langes Wegstück vor uns.

BRK in der Schweiz

Die Schweiz ist 2014 der UNO-Behindertenrechtskonvention
(UNO-BRK) beigetreten. Damit verpflichtet sie sich, die Inklusion und
gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu fördern und zu
gewährleisten. Ziele sind etwa die freie Wahl des Wohnorts, das Recht auf Bildung und die Teilhabe am kulturellen Leben.

Die Behindertenrechtskonvention als Vision – wie meinen Sie das?

Mit Vision meine ich nicht etwas Unmögliches oder etwas, das noch in weiter Ferne liegt. Aber es ist tatsächlich so, dass die Behindertenrechtskonvention Ziele für die Staaten formuliert, die nicht einfach morgen oder übermorgen erreicht werden können.

Es ist nicht nur Aufgabe des Staates, diese Ziele umzusetzen. Diese Entwicklung beinhaltet auch eine neue gesellschaftliche Haltung gegenüber Menschen mit Behinderungen.

Die BRK formuliert Ziele für die Staaten, die nicht morgen oder übermorgen erreicht werden können.

Und wann sind wir am Ziel?

Ich mache ungern Schätzungen. Aber die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention ist ein Generationenprojekt. Man wird sicher einige Etappen vorher erreichen. Welche das sind, muss vorab bestimmt werden.

Dennoch: Der Dachverband Inclusion Handicap kritisiert, dass der Auftrag Ihres Gleichstellungsbüros zu wenig weit gehe und dass Sie zu wenig finanzielle Mittel hätten, um die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen voranzutreiben. Was sagen Sie dazu?

Ich hätte natürlich wie jeder Leiter einer Bundesstelle gerne mehr Mittel. Ich glaube aber nicht, dass dies der Weg ist, um die Gleichstellung nachhaltig umzusetzen.

In unserer Funktion begleiten wir primär die Bundesämter, die Gleichstellung in ihrem Tätigkeitsbereich umsetzen müssen. Dazu können wir als Gleichstellungsbüro einen Beitrag leisten.

Die ganz grosse Umsetzungsarbeit aber geschieht nicht bei uns, sondern auf verschiedenen Ebenen wie beim Bund, den Kantonen und in der Gesellschaft.

Das Gespräch führte Julia Voegelin.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 26.04.2016, 09:02 Uhr.

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