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Gottesdienst in Coronazeiten Zertifikatspflicht: Der Stresstest für Kirchen steht noch aus

Seit Anfang September gilt die Zertifikatspflicht auch für Gottesdienste ab 50 Personen. Wie kommen die Kirchgemeinden damit klar?

«Wenn mal jemand widerständig ist und ohne Zertifikat in eine Kirche eintreten will, ist es gut, man hat eine kompetente Person an der Türe», sagt Nicolas Mori von der reformierten Kirche des Kantons Zürich.

Ein Türsteher vor dem Gotteshaus sei unschön, meint Mori. Deshalb sei er froh, dass solche Konfrontationen nur selten vorkommen. «Wir stellen aber fest, dass diese Zertifikate im Grossen und Ganzen gut akzeptiert sind.»

Einmal mit, einmal ohne

Die Kirchen haben dank einer Sonderregelung des Bundesrats einen kreativen Umgang damit gefunden. Für Gottesdienste bis 50 Personen braucht es kein Zertifikat. Für Gottesdienste mit mehr als 50 Personen gilt die Zertifikatspflicht.

So kann es sein, dass etwa um neun Uhr ein Gottesdienst ohne Zertifikat, dafür aber mit Maske und Abstand stattfindet und um elf Uhr ein Gottesdienst mit Zertifikat, aber ohne weitere Schutzmassnahmen.

Auch bei den katholischen Landeskirchen setzt man auf diese Lösung, sagt Sabine Rüthemann, die Kommunikationsbeauftragte des Bistums Sankt Gallen: «Wir haben unsere Pfarreien und Seelsorge-Einheiten aufgefordert, beide Formen anzubieten. So wird in der Regel niemand vom Gottesdienst ausgeschlossen.»

Ausnahmezustand Abdankungsfeier

Ein Problem bleiben jedoch Bestattungen. Eine Abdankungsfeier ist ein Anlass, den man nicht gestaffelt durchführen kann. Es ist ein Moment der kollektiven Trauer, an dem sehr oft mehr als 50 Personen teilnehmen wollen.

«Wir hätten es begrüsst, wenn man für Beerdigungen eine Ausnahme gemacht hätte und Menschen mit Abstand und entsprechend Raumgrösse in die Gottesdienste lassen würde», sagt Sabine Rüthemann.

Aber auch hier zeigen sich viele Seelsorgende kreativ, indem sie den grösseren Teil einer Abschiedsfeier einfach draussen stattfinden lassen. Mit Blick auf den Winter sei diese Praxis längerfristig aber nicht praktikabel, sagt Rüthemann.

Es droht eine Klage

Die Freikirchen halten sich ebenfalls an die Vorgaben des Bundes. Während die reformierten und katholischen Landeskirchen sich jedoch mit der 50-Personen-Sonderregelung gerade noch arrangieren können, sei diese für Freikirchen oft keine Lösung, da deutlich mehr Menschen an den jeweiligen Gottesdiensten teilnähmen.

Peter Schneeberger, der Vorsitzende der Freien Evangelischen Gemeinden Schweiz, zieht deshalb eine Klage in Erwägung. «Wir haben zudem im Nationalrat eine Interpellation eingegeben, um beim Bundesrat zu fragen, ob sich die Zertifikatspflicht mit der Religionsfreiheit verträgt.»

Und Weihnachten?

Für Schneeberger selbst ist klar: Die Zertifikatspflicht ist aus theologischer Sicht nicht haltbar. «Dass es die Möglichkeit gibt, Gottesdienste zu erleben, um Gott näher zu kommen und man doch davon ausgeschlossen werden kann, halten wir für eine starke Einschränkung gegen das persönliche Praktizieren des Glaubens.»

Das Covid-Zertifikat verlangt den Schweizer Kirchen also einiges ab – und schon bald ist Weihnachten. Wie man die Zertifikatspflicht bei so einem grossen Fest einhalten soll, ist derzeit für alle christlichen Konfessionen völlig offen.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 18.10.2021, 7:06 Uhr ; 

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