In der Eingangshalle des Museums steht eine elf Meter hohe Statue von Ramses II. 3200 Jahre alt und 83 Tonnen schwer. Sie versinnbildlicht die Opulenz des neuen Grand Egyptian Museum, das Besuchenden und der Fachwelt in nie dagewesenem Umfang Einblicke in die 7000-jährige Geschichte Ägyptens gewährt.
Die gesamte Sammlung aus dem Grab Tutanchamuns ist hier zu sehen, die 42 Meter lange Sonnenbarke des Pharaos Cheops oder die Holzstatue des Schreibers Mitri.
Eine der schönsten und wichtigsten archäologischen Funde aus dem alten Ägypten allerdings fehlt: die Büste der Nofretete. Die bleibt weiter das Prunkstück im Neuen Museum in Berlin.
Lange Geschichte von Rückgabeforderungen
Dieses Meisterwerk altägyptischer Bildhauerkunst entstand im 14. Jahrhundert vor Christus und wurde 1912 vom deutschen Ägyptologen Ludwig Borchardt im Auftrag der Deutschen Orient-Gesellschaft entdeckt. Im Rahmen einer sogenannten Fundteilung gelangte sie mit Genehmigung der ägyptischen Altertümerverwaltung nach Deutschland.
Die Europäer sind die grössten Diebe der Welt.
Seit der ersten öffentlichen Ausstellung der Büste im Jahre 1924, wird die Rechtmässigkeit der Fundteilung angezweifelt. Aus diesem Grund liess die Direktorin des Ägyptischen Museums Berlin die Fundteilung abermals untersuchen und 2010 für gültig erklären. Trotzdem – oder gerade deswegen – flammt mit der Eröffnung des Grand Egyptian Museum die Debatte erneut auf.
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Bild 1 von 5. Museum der Superlative: Am 1. November 2025 wurde das Grand Egyptian Museum in Gizeh in Anwesenheit zahlreicher Staatschefs offiziell eröffnet. Bildquelle: Keystone/EPA/MOHAMED HOSSAM.
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Bild 2 von 5. Das Grand Egyptian Museum ist das weltweit grösste Museum, das einer einzigen Zivilisation gewidmet ist. Es zeigt unter anderem eine Statue von König Ramses II. Bildquelle: REUTERS/Mohamed Abd El Ghany.
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Bild 3 von 5. Ein weiteres Highlights unter den mehr als 100'000 Artefakten im Grand Egyptian Museum: der goldene Sarg des altägyptischen Pharaos Tutanchamun. Bildquelle: REUTERS/Mohamed Abd El Ghany.
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Bild 4 von 5. Direkt am Eingang des Grand Egyptian Museum ist das «Juwel von König Cheops», auch bekannt als «Sonnenboot» zu bestaunen. Bildquelle: REUTERS/Mohamed Abd El Ghany.
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Bild 5 von 5. Ägypten hofft, dass die Eröffnung des Grand Egyptian Museum der Tourismusbranche einen wichtigen Impuls geben und jährliche mehrere Millionen Besuchende anlockt. Bildquelle: Keystone/EPA/MOHAMED HOSSAM.
Angeführt wird sie von Zahi Hawass, dem ehemaligen Generalsekretär der ägyptischen Altertümerverwaltung. Er forderte in einem Spiegel-Interview die Rückgabe der Büste: «Die Europäer sind die grössten Diebe der Welt. Nofretete ist eine Ikone. Sie gehört nach Ägypten.»
Hawass gilt als umstrittene Figur mit nicht ganz uneigennützigen Absichten. Allerdings stellen auch andere Experten wie Abdelghafar Wagdy oder Historiker Sebastian Conrad, Autor des Buches «Die Königin – Nofretetes globale Karriere», die Legalität von Borchardts Kulturgut-Export infrage. Sie verweisen auf Ungereimtheiten im genauen Hergang der Fundteilung und den kolonialen Kontext der Archäologie-Expedition.
Würde man die Nofretete-Büste aus ihrer Sammlung herauslösen, ginge ein wichtiger Kontext verloren.
Kurz: es ist kompliziert und die Büste verbleibt zunächst in Deutschland.
Plädoyer für archäologische Weitsicht
Die Schweizer Ägyptologin Fabienne Haas Dantes warnt denn auch vor einer kurzsichtigen Restitutionsdebatte: «Die Nofretete-Büste ist Teil der Amarna-Sammlung in Berlin. Würde man sie herauslösen, ginge ein wichtiger Kontext verloren.»
Museen sind keine nationalen Trophäen-Sammelstellen, sondern Orte, wo Kunstschätze in einen geschichtlichen Zusammenhang gestellt werden. «In diesem Sinne ist der Verbleib der Nofretete-Büste in Berlin kein Skandal», meint Haas Dantes.
Solch differenzierende Argumente werden die Rückgabe-Diskussion um die Nofretete-Büste indes kaum abflauen lassen. Denn bei dieser geht es nicht nur um symbolische Wiedergutmachung, sondern auch um Prestige und Geld: Die Nofretete-Büste zieht in Berlin jährlich eine halbe Million Besuchende an. Welches Museum will schon auf einen solch lukrativen Kunstschatz verzichten?