Wir sind keine Heiligen. Menschen lügen und betrügen. Wir können aber auch verzeihen und vergeben. Und das sollten wir auch. Aber nicht immer, sagt die Philosophin Susanne Boshammer.
SRF: Angenommen, Ihr Partner hätte einen Seitensprung begangen. Würden Sie ihm verzeihen?
Susanne Boshammer: Der Seitensprung ist ein Paradebeispiel menschlicher Schwäche und wird deshalb gerne diskutiert. Denn es geht um ein Unrecht, jedenfalls wenn zwei Menschen sich zuvor ein Treueversprechen gegeben haben.
Gleichzeitig denkt man, das sollte man doch verzeihen können. Das ist etwas Flüchtiges und in der Regel ungeplant. Ich sage es mal so: Wenn mein Partner zum dritten Mal innerhalb eines halben Jahres fremdgeht, dann wäre ich in Sachen Verzeihensbereitschaft eher zurückhaltend.
Es spielt doch eine grosse Rolle, ob jemand um Verzeihung bittet und glaubwürdig bereut?
Genau. Es geht beim Verzeihen weniger darum, was jemand getan hat. Sondern darum, wie er oder sie sich zur Tat verhält. Reue ist ein wichtiger Faktor.
Ist das individuell unterschiedlich, oder gibt es ein allgemeingültiges objektives Verhalten in Sachen Verzeihen?
Wir können natürlich darüber nachdenken, ob Situationen vergleichbar sind und ob diese Situationen nur uns selbst betreffen. Aber ob Sie verzeihen und ob das die richtige Entscheidung ist, liegt letztlich bei Ihnen.
Wir können nicht auf Knopfruck Groll überwinden.
Die Zeit heilt alle Wunden, sagt man. Verzeihen braucht also Zeit. Kann ich diesen Prozess dennoch aktiv steuern?
Gefühle sind natürlich eine wichtige Komponente. Wir können nicht auf Knopfdruck Groll überwinden.
Aber wenn Sie verzeihen wollen, kann es zum Beispiel helfen, nicht dauernd das Gefühl von Groll zu nähren, in dem sie ständig mit allen über das Erlebte sprechen. Denn so verstärken Sie das Gefühl, auch positive Gefühle wie Verliebtheit werden so verstärkt.
Aber Verdrängen ist doch auch keine Lösung?
Definitiv nicht. Verzeihen ist ein bewusster und konstruktiver Umgang, wenn Sie den Entschluss denn mal gefasst haben.
Die lebendige Umsetzung von Vergebung kann sich erst mit der Zeit entfalten. Wichtig ist, dass wir bei unserem Entschluss bleiben und uns durch Rückschläge nicht entmutigen lassen.
Man muss gut überlegen, ob man den anderen entlasten will.
Also sollte man grundsätzlich immer verzeihen?
Ich denke nicht, dass man alles verzeihen sollte. Wer Unrecht tut, schuldet dem «Geschädigten» ein schlechtes Gewissen. Wenn ich ihm verzeihe, muss er kein schlechtes Gewissen mehr haben.
Nicht immer jedoch möchten wir dem «Täter» dieses schlechte Gewissen abnehmen. Weil wir finden, dass er es verdient hat. Man muss also gut überlegen, ob man den anderen entlasten will.
Was halten Sie von der sogenannten Wiedergutmachung, dass ein Staat stellvertretend für vergangenes Unrecht frühere Oper entschädigt? So wie das etwa der Schweizer Bundesrat macht, indem er frühere Verdingkinder finanziell entschädigt?
Das ist interessant, man gibt dem Unrecht einen Preis. Aber vermutlich spielt das Geld nur eine untergeordnete Rolle. Viel wichtiger ist es, dass jemand hinsteht und sich schuldig bekennt.
Unter Kollektiven oder Staaten ist das dann eher Versöhnung als Verzeihung. Verzeihung ist für mich interpersonal: Du schuldest mir was, ich verzeihe dir. Aber es hängt natürlich zusammen: Wenn Völker sich versöhnen, müssen sich die einzelnen Menschen trotzdem verzeihen.
Das Interview ist ein leicht angepasster Auszug aus der Sendung Sternstunde Philosophie.