SRF Kultur: Wie definieren Sie Weltschmerz?
Endo Anaconda: Ist das nicht eine Erfindung der Romantik? Ich verbinde damit immer diese spezielle Empfindlichkeit in der Pubertät. Andererseits ist heute auch Weltschmerz berechtigt ausserhalb der Romantik und ausserhalb der Pubertät.
Warum denn?
Wir wissen durch die neuen Medien so viel über die Welt. Und man könnte meinen, dass wir dadurch sensibler, offener und solidarischer werden. Doch das Gegenteil ist der Fall. Wir schotten uns ab!
Vielleicht schützen wir uns einfach vor der Last…
Eine gewisse Distanz ist sicher notwendig. Wir haben zwar die ökonomische Globalisierung, aber der Planet hat noch kein Schmerzempfinden. Sonst müssten wir alle ununterbrochen schreien.
Was schmerzt Sie denn besonders?
Ich finde es sehr beunruhigend, dass alles zur Gewohnheit wird. Hier ein Anschlag, dort ein Anschlag. Wenn es hier zehn Menschen trifft, gibt es einen Aufschrei. Wenn anderswo Hunderte zu Opfern werden, lässt uns das unberührt. Eine seltsame Einschätzung von Tragweite. Ich bin jetzt 61 Jahre alt und frage mich manchmal: Bin ich ein Kulturpessimist?
Trotz allem: Die Menschheit ist ein sehr interessantes Phänomen.
Und, sind sie einer?
Wenn man Kinder hat, darf man das nicht sein. Auch wenn man keine Kinder hat, sollte man es nicht sein. Ich finde trotz allem die Menschheit ein sehr interessantes Phänomen.
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Bleiben wir beim Weltschmerz. Was verstärkt ihn?
Wir verlassen technologisch die Grenzen unseres Sonnensystems, sind aber noch nicht in der Lage, global zu denken und zu empfinden. Da müssten wir ja ein paar unangenehme Tatsachen miteinander verknüpfen. Da muss Politik handeln – aber Politiker sind Sachzwangverwalter, ich sage es so.
Woran denken Sie genau?
Wir wissen alle, dass wir dieses zwei Grad Ziel punkto Erderwärmung nicht erreichen werden, wenn wir so langsam weitermachen. Es ist abzusehen, dass die Folgen für uns und erst recht für unsere Nachkommen katastrophal sind – aber die ökonomischen Interessen scheinen wichtiger zu sein. Das macht mich traurig und hilflos.
Was mildert den Weltschmerz?
Man darf die Jugend nicht unterschätzen. Die Lösungen für die meisten Probleme sind vorhanden. Es gibt zum Glück sehr viele Menschen, die sich für das Richtige einsetzen. Ich bin keiner der sagt, früher war alles besser. Wir leben in einer spannenden Zeit. Ich versuche auf meine Art Sand im Getriebe zu sein.
Was ist zu tun?
Wir müssen eine andere Definition für Wachstum finden, und eine neue Wertigkeit. Wir müssen auf Qualität setzen. Nicht auf Quantität.
Wie meinen Sie das?
Die menschliche Arbeit hat eine Qualität. Beispiel Schuhe: Ich kaufe keine Turnschuhe, die man nicht reparieren kann. Wir müssen von einer Wegwerfgesellschaft zu einer Reparaturgesellschaft werden. Es braucht Ressourcensorgfalt.
Ich will den Leuten nicht sagen, wie sie denken sollen. Ich bin froh, wenn sie überhaupt denken.
Was braucht es noch?
Wenn wir in manchen Ländern Europas Menschenrechtsstandards haben, dann müssen wir dafür sorgen, dass wir diese Standards schleunigst überall haben. Sonst hört es nie auf mit den Kriegen. Das hat nichts mit Gutmenschentum zu tun. Das ist einfach eine vernünftige Überlegung. Wir müssen teilen.
Was tun Sie ausser keine Turnschuhe kaufen?
Ich fliege nicht. Beim Fliegen werden so viele Treibhausgase ausgestossen, da mache ich nicht mit. Und ich ernähre mich regional bis biologisch. Es sind viele kleine Sachen auf die ich achte.
Und die Lieder vom stillen Hasen, der nicht still ist?
Die sind vielleicht mehr Therapie. Kunst muss nicht politisch sein. Ich will den Leuten auch nicht sagen, wie sie denken sollen. Ich bin froh, wenn sie überhaupt denken.
Das Gespräch führte Cornelia Kazis.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 21.11.2016, 9:02 Uhr.