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Hilfspaket läuft aus «Die Krise ist der neue Status quo von Griechenland»

In rund einem Monat soll sich Griechenland wieder allein finanzieren können. Aber ein Ende der Krise ist nicht in Sicht.

Um ihn herum wird wild die Spur gewechselt. Doch Erwin Schrümpf manövriert seinen Wagen gelassen durch den Athener Verkehr. Der Österreicher, der in der Krise eine Hilfsorganisation gegründet hat, ist alle vier Wochen vor Ort, mit mehreren Tonnen Hilfsgütern.

Gerade ist er auf dem Weg in ein Gemeindesozialzentrum, keine drei Kilometer von der Akropolis entfernt. Rund 200 solcher Hilfsangebote sind in den vergangenen Jahren allein im Grossraum Athen entstanden. Freiwillige verteilen warme Mahlzeiten, Nahrungsmittel, Medizin und Dinge des täglichen Bedarfs.

Griechenland in der Krise

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Seit Beginn der Finanzkrise im Jahr 2010 wurde Griechenland mit 256 Milliarden Euro vor der Pleite gerettet. Zu einem hohen sozialen Preis allerdings: Die Renten wurden immer wieder gekürzt, die griechischen Löhne sind heute im Durchschnitt 40 Prozent niedriger als vor der Krise, und drei von vier Menschen ohne Beschäftigung sind langzeitarbeitslos. Im August 2018 läuft das dritte Hilfspaket der Euroländer ab.

Viele sind auf Almosen angewiesen

Ein paar Frauen suchen in einem Berg von Altkleidung nach etwas Brauchbarem. Geregelte Arbeit hatte sie zuletzt 2012, sagt eine von ihnen.

Auch ihr Mann sei arbeitslos. Dass es aufwärts gehe, könne sie nicht erkennen: «Nach dem Wochenmarkt sehe ich Leute, die Abfälle einsammeln. Sogar gut gekleidete Leute. Sie holen das angestossene oder verfaulte Obst und Gemüse aus dem Rinnstein.»

Ein Mann steht vor einem Minivan.
Legende: Erwin Schrümpf reist regelmässig mit Hilfsgütern nach Athen, um zu helfen. Alkyone Karamanolis

Derweil bespricht Erwin Schrümpf, was am dringendsten benötigt wird. Ohne die Hilfe aus dem Ausland könnten sie nicht weitermachen, sagt eine der Sozialarbeiterinnen: «Unsere eigenen Ressourcen sind erschöpft. Teilweise holen sich Menschen bei uns Hilfe, die vor einigen Jahren selbst Spenden vorbeibrachten.»

Arbeiten, um zu überleben

Auch sie glaubt nicht, dass sich nach August irgendetwas ändern wird. Die Menschen versuchen heute schlicht zu überleben, stellt sie fest. «Wir haben keine Lebensperspektive. Wir wissen, dass wir arbeiten müssen, um immer neue Steuern zu bezahlen. Träume haben da keinen Platz. Wir glauben nicht mehr an eine bessere Zukunft.»

Dabei sieht es aus, als ob es aufwärts ginge. Die Rating-Agenturen stufen Griechenlands Anleihen sukzessive hoch. Die Wirtschaft ist im vergangenen Jahr um 1,4 Prozent gewachsen, der Tourismus boomt, und die Arbeitslosenrate liegt mit 20,8 Prozent immerhin so niedrig wie seit Jahren nicht mehr.

Internationales Schlusslicht

Doch die meisten neu abgeschlossenen Arbeitsverhältnisse sind prekär, darunter viele Teilzeitstellen, entlöhnt mit zwei- bis vierhundert Euro im Monat. Überstunden werden vorausgesetzt, häufig aber nicht bezahlt.

Die Internationale Arbeitsorganisation ILO zählt Griechenland zu den 25 Ländern mit den gravierendsten Verletzungen grundlegender Arbeitnehmerrechte weltweit.

Ein Mann steht in einer improvisierten Kantine. Vor ihm liegt ein Frühstücksbuffet.
Legende: Eine Hilfsinitiative in Griechenland: «Free Food for All» bietet Essen an für Leute, die sich keines mehr leisten können. Alkyone Karamanolis

Nur drei Prozent der griechischen Haushalte kommen heute problemlos über die Runden und können Geld auf die Seite legen. Das hat eine von der griechischen Handelskammer durchgeführte Studie ergeben.

Rund 15 Prozent gaben an, von ihrem Einkommen nicht einmal das Überlebensnotwendige bestreiten zu können.

Keine 500 Euro auf dem Konto

Auch die übrigen sparen. In erster Linie an Arztbesuchen, aber auch an Nahrungsmitteln, Heizung, Kleidung und fälligen Reparaturen.

Eine unvorhergesehene Ausgabe von 500 Euro wäre für mehr als die Hälfte aller griechischen Haushalte nur mit grosser Mühe zu stemmen.

Trotzdem möchte der Politologe Dimitris Katsikas von Griechenlands wichtigstem Think Tank Eliamep das Wort Krise nicht verwenden. Er spricht lieber vom neuen Status quo: einer neuen Lebenswirklichkeit mit deutlich geringerem Wohlstand, mehr sozialen Problemen und einer starken politischen Polarisierung.

Ein Obdachloser sitzt in einem Hauseingeng.
Legende: Wenn das Einkommen nicht für das Notwendige reicht: Ein älterer Mann hofft auf Hilfe von Passanten in Athen. Keystone

Die Krise ist der neue Status quo

«Die Probleme, die infolge der Krise entstanden sind, werden uns noch lange begleiten», sagt Katsikas. «Ausserdem wird sich auch nach dem Memorandum nichts ändern. Griechenland hat sich zu rigiden Sparmassnahmen verpflichtet – und zwar bis zum Jahr 2060.»

Inzwischen hat der Europäische Rechnungshof der EU-Kommission Fehler vorgeworfen und für mögliche künftige Hilfsprogramme Nachbesserungen gefordert.

Der Politologe Dimitris Katsikas zieht eine ähnliche Bilanz. Und er sagt: Das Ende der Krise sei noch lange nicht in Sicht.

«Wir sind in einem sehr kritischen Moment»

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Porträt von Zoe Lefkofridi.
Legende: EUI

Drei Fragen an die Politologin Zoe Lefkofridi, die als Assistenzprofessorin an der Universität Salzburg Vergleichende Politik lehrt und über den europäischen Integrationsprozess forscht.

SRF: Griechenland verzeichnet erstmals wieder ein leichtes Wirtschaftswachstum. Worauf ist das zurückzuführen?

Zoe Lefkofridi: Tatsächlich zeigt sich für das letzte Jahr ein positives Bild: ein Wirtschaftswachstum von 2.3 Prozent. Dieses ist vor allem auf einen gesteigerten Export von landwirtschaftlichen Produkten wie Oliven, Öl und Wein, aber auch Kosmetika zurückzuführen.

Griechenland geht es im Moment besser als auch schon. War also der Druck der Europäischen Union wirksam, Spar- und Reformprogramme durchzuführen?

Es gibt Verbesserungen, etwa bei der Reform der öffentlichen Verwaltung. Ich hatte früher beim Gang durch die Ämter selbst kafkaeske Situationen erlebt. Jeder Beamte verlangte ein anderes Papier. Es gab keine Konsistenz. Das war frustrierend für alle jene, die ein Projekt realisieren, zum Beispiel eine Firma gründen wollten. Die Verwaltung ist in der Zwischenzeit verlässlicher geworden. Eines der grössten Probleme aber bleibt nach wie vor die Arbeitslosigkeit, besonders die Jugendarbeitslosigkeit. Da sehe ich keine Verbesserung und auch keine gemeinsame europäische Initiative.

Die griechischen Staatsschulden sollen heute grösser sein als zu Beginn der Krise. Stimmt das?

Ja, das stimmt. Ich denke nicht, dass Griechenland das Geld jemals zurückzahlen kann. Das ist die tragische Seite der Geschichte. Das Land hat – unter harten Bedingungen – das Geld angenommen, um gerettet zu werden, und jetzt hat es mehr Schulden als vorher. Den Politikern der europäischen Länder ist nicht viel mehr eingefallen, als kurzsichtig ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Sie wollten hohe Garantien haben, um von ihrer Klientel wiedergewählt zu werden. Wenn aber die Bevölkerung in einem Mitgliedstaat der EU verarmt, hat das auch Konsequenzen für andere europäische Länder.

Das Gespräch führte Sabine Bitter.

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