Als Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg vom Attentat auf Hitler erfuhr, befand sie sich auf dem Familiensitz der Adelsfamilie, im idyllischen Lautlingen in Baden-Württemberg.
Sie wusste bereits, dass ihr Mann Teil des Widerstands war – aber nicht, dass er selbst die Bombe zünden würde.
Das Hitler-Attentat
«Am Morgen des 21. Juli kam die Schwiegermutter ans Bett meiner Mutter», erzählt Konstanze von Schulthess, die ein Buch über ihre Mutter Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg geschrieben hat. «Sie erzählte ihr, dass mein Vater das Attentat durchgeführt hatte. Und dass er bereits hingerichtet worden sei.»
Familie in Sippenhaft
Zu diesem Zeitpunkt war schon klar, dass Hitler überlebt hatte. Im Radio hatte er angekündigt, die Verschwörer «erbarmungslos auszurotten». Heinrich Himmler, der sogenannte Reichsführer SS, erklärte später, die Familie Stauffenberg werde «ausgelöscht bis ins letzte Glied».
Das NS-Regime übte Rache an den Familien der Widerstandskämpfer. Berthold, der Bruder des Attentäters, sowie ein Cousin wurden umgebracht, weil sie beide unmittelbar am versuchten Staatsstreich beteiligt gewesen waren.
Viele Familienmitglieder gerieten in die sogenannte Sippenhaft. Nina von Stauffenberg wusste, dass auch sie verhaftet werden würde. Sie rief in Lautlingen ihre beiden ältesten Söhne zu sich und erklärte, ihr Vater sei hingerichtet worden, er habe das Attentat selbst ausgeführt.
«Sie eröffnete ihren Söhnen zur gleichen Zeit, dass sie ein Baby erwartete – nämlich mich. Es muss ein sehr schwieriger Moment gewesen sein», sagt Konstanze von Schulthess.
Sorge um die Kinder
In der Nacht auf den 23. Juli fand die berüchtigte «Geheime Staatspolizei», die Gestapo, Nina Stauffenberg in Lautlingen. Sie kam ins Gefängnis, dann für fünf Monate ins Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück, wo sie verhört wurde.
Sie fürchtete um ihr Leben und verfasste ein Testament, aus dem die Sorge um ihre vier Kinder spricht. Erst nach vielen quälenden Wochen erfuhr sie, dass diese in ein Kinderheim in Niedersachsen gebracht worden waren.
Eine Odyssee durch Deutschland
«Ich glaube, dass ihr das ungeborene Kind die Kraft gab, das durchzustehen», sagt Konstanze von Schulthess über ihre Mutter. Am 27. Januar 1945 brachte diese sie in Frankfurt an der Oder zur Welt – immer noch in Gefangenschaft.
Der Krieg näherte sich seinem Ende. Für Nina von Stauffenberg begann eine Odyssee durch Deutschland. In Oberfranken überliess ihr Bewacher Nina Stauffenberg ihrem Schicksal.
Während sich rundherum das Dritte Reich auflöste, fand sie Unterschlupf bei Fremden und wartete auf das Kriegsende. Erst im Juni schaffte sie es zurück nach Lautlingen und schloss, nach fast einem Jahr, ihre Kinder in die Arme.
Kampf um Anerkennung
Nina von Stauffenberg ist kein Einzelfall. Die Familien der Widerstandskämpfer zahlten einen hohen Preis für den Attentatsversuch vom 20. Juli, bis weit in die Nachkriegszeit hinein.
«In den Fünfzigerjahren galten die Verschwörer des 20. Juli vielen noch als Verräter, die Kinder wurden als Verräterkinder bezeichnet», erklärt Johannes Tuchel, der in Berlin die Stiftung «Gedenkstätte Deutscher Widerstand» leitet.
Auch habe sich die Bundesrepublik nicht durchringen können, die Witwen und Waisen des 20. Juli in eine finanzielle Entschädigungsregelung einzubinden. Die Witwen standen deshalb vor dem materiellen Nichts, auch noch nach dem Krieg.
Heruntergespielte Rolle der Ehefrauen
In einer Umfrage des Magazins «Der Spiegel» 2004 liess sich zum ersten Mal feststellen, dass eine Mehrheit in der BRD die Widerstandskämpfer des 20. Juli positiv bewertete.
Dass auch die Ehefrauen eine Rolle spielten, blieb hingegen lange unbeachtet. Viele wussten um die Verschwörung ihrer Männer und unterstützten sie: etwa indem sie Pläne mitdiskutierten, Treffen organisierten oder Nachrichten überbrachten.
«Im Widerstand waren alles junge Männer, die meisten davon Familienväter. Ohne den Rückhalt ihrer Frauen wäre es psychisch unmöglich gewesen, das durchzuziehen», sagt Konstanze von Schulthess. Auch ihre Mutter wusste von den Plänen ihres Vaters und unterstützte ihn aktiv.
Ein Zeichen für mehr Anerkennung
Man habe den Anteil der Ehefrauen am Widerstand gegen den Nationalsozialismus lange nicht anerkannt, sagt Johannes Tuchel. Auch weil sie in der Sippenhaft ihre Rolle hätten herunterspielen müssen.
Jetzt, zum 75. Jahrestag, sei ein wichtiges Zeichen gesetzt worden: Der Deutsche Bundestag hat – mit den Stimmen aller Fraktionen und der Enthaltung der AfD – beschlossen, den Widerstand der Frauen stärker zu würdigen als bisher.