Woher kommt eigentlich überhaupt die Idee der Mission?
Andreas Heuser: Die «missio», Lateinisch für «das Senden», ist ein häufiger Begriff im Neuen Testament. Die grosse Missionsbewegung – im Sinne von «in unbekannte Territorien vorzustossen» und das Christentum zu verbreiten – hat erst im 19. Jahrhundert stattgefunden. Da wurde die Kernstelle, auf die sich alle beziehen, im Matthäus-Evangelium als Auftrag entdeckt: «Geht hin in alle Welt – und lehret und tauft die Menschen, damit sie Jesus nachfolgen.»
Sie verziehen das Gesicht, etwas daran scheint Ihnen nicht zu behagen?
Als Missionwissenschaftler blicke ich positiv auf mein eigenes Fach. Sie hat viel bewirkt und hat das kirchliche Leben entprovinzialisiert. Was mir allerdings tatsächlich an dieser Matthäus-Stelle nicht passt, ist, wenn sie als strategische Methode angewandt wird, um andere von ihrer Überzeugung abzubringen. Für mich ist Mission an erster Stelle ein Lehrbefehl: Lehret andere – und Lehren ist ein dialogischer Prozess.
Die Missionare von einst sind mit der Idee ausgezogen, «Heiden» zu bekehren – mussten aber schnell feststellen, dass ohne Zusammenarbeit mit den «Heiden» nichts funktionierte. Das zeigt auch die neuste Wissenschaft. Doch das Bild vom Missionar, der den «Heiden» ihren Glauben überstülpt, hält sich beharrlich.
Da gibt es verschiedene Perspektiven: Die eine ist, dass die Mission mit dem Kolonialismus zusammengearbeitet hat. Diese hat sich in der deutschsprachigen Sozial- und Kulturwissenschaft leider in den 1960er- und 70er-Jahren stark durchgesetzt. Das hat mit einer Säkularisierungswelle zu tun, nach dem Motto: Weg mit alten Zöpfen – dazu gehörte auch die Kirche.
Diese Perspektive hat sich aus wissenschaftlicher Sicht geändert: Wer heute zu Missionsgeschichte arbeitet, säkulare Historiker und Ethnologinnen, hat eine neue Sicht auf die Mission. Das sollte man endlich wahrnehmen.
Missionare selber übrigens haben sich nie als Heroen gesehen. Die Pioniermissionare haben vielleicht in ihrem ganzen Leben lediglich eine Handvoll Menschen taufen können – also herzlich wenig im Vergleich zu den Jahrzehnten, in denen sie sich abgemüht haben. Die Missionare hatten gar keine Macht, jemanden zu zwingen. Das würde auch eine Objekthaftigkeit der «Aufnahmegesellschaft» implizieren, die es nicht gab.
Und die dritte Perspektive ist diejenige der Missionierten selber: Gerade was die Basler Mission angeht, gibt es beispielsweise in Westafrika schlicht keine Kritik, die laut geäussert wird. Wenn, dann in Nebensätzen – und die dreht sich um die «paternalistische Haltung» der ehemaligen Mission vor der Unabhängigkeit.
Man sollte den Mut haben, sich von diesen Stereotypen der Missionsgeschichte zu verabschieden, dann wird der Weg frei für neue Fragen im Zusammenhang mir Missionsgeschichte.
Welche Fragen?
Zum Beispiel, was sich genau abgespielt hat in dieser Erstbegegnung. Und zwar nicht nur auf Seite der einheimischen Gesellschaft, sondern auch beim Missionar selber: Wie hat er sich verändert, durch den Kontakt und die Gespräche über unterschiedliche religiöse Vorstellungen.
Haben eigentlich nur die Christen missioniert – oder andere Religionen auch?
Es gibt in jeder Religion missionarische Anteile. Auch im Buddhismus gibt es missionierende Zirkel. Nicht umsonst ist fernöstliche Spiritualität im Westen angekommen. Interessanterweise aber wird diesen Zirkeln keine Skepsis entgegengebracht.
In Nigeria schlachtet Boko Haram Menschen ab und versteht dies als Mission. Das hat unter anderem dazu geführt, dass amerikanische Missionare jetzt auch ins Land gezogen sind und die Situation nutzen, vehement gegen den Islam zu predigen. Gerät der Begriff «Mission» so wieder in Schieflage?
Ja. Das unterfüttert vor allem auch die Meinung der Agnostiker und derjenigen, die sagen, Religion sei an sich kriegsfördernd und habe mit einer freien Gesellschaft nichts verloren.
Ich bin nicht glücklich über diese fundamentalistischen Bewegungen. Was die amerikanischen Missionare betrifft, komme ich wieder auf mein Widerstreben gegenüber dem «grossen Missionsbefehl» aus dem Matthäus-Evangelium zurück: In den USA gilt er als Kernsatz für missionarische Strategien. Die Devise dahinter: Wir haben einen christlichen Grundgedanken, und dem müssen wir implementieren, unabhängig von der jeweiligen Kultur.
Verstehen und Dialog: Das sind die neuen Zauberworte in der Missionswissenschaft. Aber geht es letztendlich nicht darum, die andern «an Bord» zu ziehen?
Nein, überhaupt nicht! Das ist ein komplettes Missverständnis. Wenn wir heute einen Dialog führen, wissen wir nicht, was dabei am Schluss herauskommt. Beispiel: Ein englischer Bischof lebte und arbeitete in Kairo und legte grossen Wert darauf gelegt, die Mehrheitsgesellschaft vor Ort zu verstehen. Darum ist er oft in die Moschee gegangen. Das bedeutet: Wer zuhört und versteht, verändert sich. Man erfährt viel mehr über seine eigene Begrifflichkeit, zum Beispiel zu den Fragen: Was heisst Theologie? Was heisst beten? Das ist der Wert des Dialogs. Denn auf der Gegenseite findet derselbe Prozess statt.