Die Verkehrsadern der Schweiz ähneln den Blutbahnen des Menschen, wie der Blick auf die SRF-Grafik zeigt. Zwischen den Zentren strömt der Verkehr in dicken, dunkelroten Adern. Das übrige Netz ist fein verästelt. Wer Abhilfe schaffen will gegen die zunehmende Mobilität, wer von Gedränge und verstopften Strassen spricht, nutzt gerne Worte wie «Infarkt verhindern» und «Bypass gegen Engpass». Zu Recht, Mobilität beeinflusst unsere Existenz.
Mobilität braucht Fläche
Mobilität, Flexibilität und Leistungsbereitschaft steigern den Puls der Wirtschaft und damit unseren Wohlstand. Für den Erhalt des Lebensstandards pendeln neun von zehn Erwerbstätigen im Schnitt täglich 14,3 Kilometer. Von St. Saphorin nach Lausanne, von Münsingen nach Bern, von Regensberg nach Zürich, von Gais nach St. Gallen.
Mobilität braucht Fläche für den Verkehr, für das Wohnen, die Freizeit im Grünen. Es sei letztlich die «Huhn-Ei-Frage», sagt der zuständige Vizedirektor des Bundesamts für Raumentwicklung, Hauke Fehlberg. Gab es erst Bauland, und dann kamen mehr Menschen, die bessere Verkehrsverbindungen brauchten? Oder zieht die S-Bahn neue Bewohner in die Gemeinden?
Eine Gesamt-Strategie fehlt
Die Zersiedelung schreitet fort. Dieser Trend soll aufhören, entschieden die Stimmenden am 3. März 2013. Das neue Raumplanungsgesetz: Bauland darf nur mehr ausgeschieden werden, wenn es in den kommenden 15 Jahren auch bebaut wird. So der Plan.
Eine Gesamtkoordination der Infrastruktur, das ist die Hauptaufgabe von Vizedirektor Fehlberg. Eine eigentliche Gesamt-Mobilitäts-Strategie aber fehlt in der Schweiz, hält ETH-Professor und Transportsystemspezialist Ulrich Weidmann nüchtern fest: «Unheilige Allianzen verhindern, dass gehandelt wird.» Die Wirtschaft braucht den mobilen Menschen und die Menschen wollen vorwärts kommen. Sie nehmen es auf sich, mobil zu sein – mehr oder weniger freiwillig.
«Zeit» hat sich verändert
Mobilität beeinflusst und verändert unseren Begriff von Zeit. Alle Bahnhofsuhren zeigen dieselbe Minute an, wenn der Zug abfährt. Es ist erst 125 Jahre her, dass in der Schweiz die Zeit vereinheitlicht wurde. Zürich war damals eine Fussgängerstadt. Der Zürcher Fussgänger bewegte sich in einem Radius von vier Kilometern, getreu dem geflügelten Wort «willst Du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah».
Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) selbst war deutlich mobiler, als er in seinen Gedichtzeilen empfahl. Er reiste viel. Das Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin hat Aufzeichnungen, die er im Alter von jeweils 41, 59 und 75 geschrieben hatte, untersucht, und errechnet, dass das Universalgenie in diesen Jahren täglich im Schnitt 45 Minuten unterwegs war, häufig mit der Kutsche (10km/h).
Zukunftspläne: den Luftraum nutzen
Der Zeitaufwand für den täglichen Arbeitsweg hat sich seit den 1970er-Jahren verändert: von 18 Minuten auf eine halbe Stunde (2011). Die Distanz hat sich im selben Zeitraum verdoppelt. Schweizer waren immer schneller unterwegs. Aber auch hier scheint die Schweiz an Grenzen zu stossen: Ab dem Jahr 2000 deuten die Zahlen des Bundesamtes für Statistik auf eine Trendwende hin.
Die Zukunft bringt intelligentere Mobilität: die schlaue und ressourcensparende Organisation der Verkehrsströme. Smarte Apps helfen lenken und steuern, Stau verhindern. Futuristisch wirkt die Idee, in den Ballungszentren den Luftraum stärker zu nutzen: So planen es die Erfinder des Volokopters. Der riesige Elektrohelikopter für kurze Distanzen soll den Bus oder das Auto ersetzen.
Der Mobilitäts-Nachfrage weiterhin hinterher bauen, das will in Zukunft niemand. Infrastruktur-Projekte haben aber einen sehr langen Vorlauf. Was wir heute bauen, wirkt lange nach. Höchste Zeit anders zu denken.