Stau morgens auf der Autobahn. Ein Blick in die Autos bestätigt: Pendeln ist eine einsame Angelegenheit. Im Schnitt sitzen in einem Pendlerauto 1,12 Personen. Diese Zahl erhob der Bund in der jüngsten Verkehrsbefragung, dem Mikrozensus 2010. Im Freizeitverkehr sind die Wagen wesentlich besser ausgelastet: Fast zwei Personen fahren mit.
Idee kam nach dem Ölschock auf
Das Potential von Car Pooling ist bekannt. Von Fahrgemeinschaften spricht man seit mindestens 40 Jahren – seit der Ölkrise, als 1973 anlässlich des Nahostkonflikts der Preis für Öl bis um das Vierfache anstieg. Doch Pendler, die gemeinsam zur Arbeit fahren, gibt es nur wenige. Franz Mühlethaler ist Mobilitätsexperte und hat das Potential von Fahrgemeinschaften unter anderem in einer Studie für den Bund untersucht.
Warum setzen sich Pendler täglich alleine ins Auto, Scheibe an Scheibe mit anderen einsamen Autofahrern in leeren Wägen, statt sich zusammenzutun? «Man will nicht auf das eigene Auto verzichten, weil man seine Flexibilität nicht verlieren will», sagt Franz Mühlethaler. Das Problem werde noch verschärft, weil Arbeitgeber immer höhere Erwartungen an die Flexibilität ihrer Angestellten hätten.
«Mobilität ist nicht teuer genug»
Zudem fehlen die Anreize – für Firmen etwa, damit diese das Modell bei ihren Angestellten fördern. Wenn Angestellte Fahrgemeinschaften bilden, könnten die eingesparten Emissionen der CO2-Bilanz der Firma abgezogen werden.
Auch für die Angestellten ist es uneinsichtig, warum sie zu zweit oder gar zu dritt ins Auto steigen sollen, «die Mobilität ist nicht teuer genug», sagt Mühlethaler. «Car Pooling bei Pendlern ist verbreiteter, je höher der Mobilitätsanteil an den Lebenshaltungskosten.» Als Beispiele nennt er die Länder Deutschland, Frankreich und Kanada.
Eine weitere Schwierigkeit ist, passende Fahrgemeinschaften zu finden. Car Pooling-Plattformen grüben sich gegenseitig das Wasser ab, sagt Mühlethaler: «Sie müssen miteinander kooperieren. Damit es zu passenden Paaren kommt, braucht es eine kritische Masse».
Potential wird nicht genutzt
Die verkehrstechnischen, ökologischen und wirtschaftlichen Vorteile von Fahrgemeinschaften liegen auf der Hand. Auch andere Ansätze, Stosszeiten zu reduzieren, leuchten ein: gleitende Arbeitszeiten oder Home Office zum Beispiel.
Nicht jeder Arbeitnehmende kann freilich von zu Hause aus arbeiten. Doch jeder zweite der 4,7 Millionen Beschäftigen in der Schweiz ist ein sogenannter Wissensarbeiter, besagt eine Studie der Universität St. Gallen. Diese sind, ausgerüstet mit Telefon, Computer und Internetanschluss, potentielle Kandidaten, um zumindest tageweise zu Hause zu arbeiten.
Flexible Arbeitszeiten gegen Stosszeiten
Auch die jährlich erscheinende Studie HR-Barometer, die gemeinsam von der ETH und der Universität Zürich herausgegeben wird, schätzte 2010, dass bis zu 50 Prozent der Arbeitnehmer in der Schweiz ihre Arbeit zeitlich und örtlich flexibel gestalten können.
Kapazitätsengpässe zu Stosszeiten könnten vermindert werden, wenn Arbeitnehmende die ersten Stunden des Tages von zu Hause arbeiten und erst mit einem späteren Zug zur Arbeit fahren.
Die Hochschule für angewandte Psychologie FHNW hat in einem Versuch mit Mitarbeitern der SBB und der Swisscom untersucht, wie sich mobil-flexibles Arbeiten auf die Produktivität und das persönliche Wohlbefinden auswirkt. «In beiden Bereichen stellten wir positive Effekte fest», sagt der Organisationspsychologe Johann Weichbrodt.
In vielen Firmen fehlt das Vertrauen
Die Studie «WorkAnywhere» rechnet zudem vor, wie gross der Effekt flexibler Arbeitszeiten sein könnte: Die Züge könnten zu den Hauptverkehrszeiten um 10 Prozent entlastet werden, wenn Bahnpendler einen Tag pro Woche ausserhalb der Hauptverkehrszeiten fahren würden.
Flexibles Arbeiten und Home-Office-Tage bedingen eine Führungskultur des Vertrauens. «Den grössten Widerstand gegenüber der mobil-flexiblen Arbeitsform stellen wir bei unteren und mittleren Führungskräften fest», sagt Weichbrodt. Soll mobil-flexibles Arbeiten das Gedränge und den Stau zur Hauptverkehrszeit entlasten, braucht es neben geeigneter Ausrüstung und Infrastruktur also auch einen Wandel der Firmenkulturen.