Wie es um Geschlechterverhältnisse bestimmt ist, lässt sich ganz leicht an der weiblichen Mode ablesen. Und da lautet der aktuelle Befund: Längst haben Highheels, strenge Business-Anzüge und Kostüme, allenfalls leicht abgemildert durch Rüschenblusen, im Verein mit It-Bags, Push-Up-BHs und Nagellack die lila Latzhosen der zur Karikatur verkommenen «Emanzen» als Megatrend abgelöst.
Dabei war es nicht zuletzt das Verdienst dieser Vorkämpferinnen, dass die Schweizerinnen immerhin seit 1971 wählen und abstimmen dürfen. Zu erwarten wäre gewesen, dass sie schon längst mal ein paar flotte Initiativen zu Gunsten ihres Geschlechts lanciert hätten. Aber Frau ist eben nicht Frau, so wie Mann nicht Mann ist. Immerhin werden Bundesrätinnen, als Beispiel, kaum noch wie Weltwunder beglotzt und kommentiert.
Kinder sind immer noch ein Karrierehemmnis
Und sogar im ganz normalen Alltag hat sich etwas getan, im Eherecht, mit der Einführung der eingetragenen Partnerschaft, in der Bildung – gut die Hälfte der Studienanfängerinnen sind heute Frauen oder bei der Kinderbetreuung. Echt störend ist nur, dass die Betreuungskosten oft einen Grossteil des Zweitverdiensts verschlingen und die Steuerprogression dann den Rest. Sogar die OECD stellt in ihrem jüngsten Gleichstellungsrapport fest, dass dies für Frauen ein Karrierehemmnis erster Güte ist.
Aber was genau hat es zu bedeuten, dass die Plakatwände vollgepflastert sind mit Models, die sich im kunstseidener Spitzenunterwäsche in unseren Alltag hineinräkeln? Was, dass diese Fetzen meist von schlecht entlöhnten Arbeiterinnen in Fernost produziert werden? Warum brezeln sich Teenagerinnen im Alltag heute auf wie für ein permanentes Model-Casting – und warum sinken trotz Daueranmache auf allen Kanälen die Geburtenraten?
Keine Lohngleichheit, keine Frauenquote
Warum ist die Lohngleichheit für Frauen gerade in angeblich «typischen Frauenberufen», wie Pflege und Verkauf, so schwer durchzusetzen? Warum sind Frauen zwar besser ausgebildet denn je, in Chefetagen aber untervertreten? Liegt es nur an den Männern oder auch an der «Feigheit der Frauen», wie Bascha Mika in ihrem vielbeachteten Buch behauptete? Andersherum: Warum ist es für Männer schwieriger, Teilzeit zu arbeiten? Sind die Strukturen an all dem Schuld, die Traditionen oder die Hormone, oder gar alles zusammen?
Neu sind diese Fragen nicht. «Lange habe ich damit gezögert, ein Buch über die Frau zu schreiben» – mit diesem Satz beginnt Simone de Beauvoir 1949 ihr Buch, das zur Gründungsschrift des neueren Feminismus werden sollte: «Le deuxième sexe», auf Deutsch schon 1951 unter dem bezeichnenderweise nicht wörtlich übersetzten Titel «Das andere Geschlecht» erschienen.
Ihr Zögern begründet Beauvoir schon damals damit, dass das Thema nicht neu sei. Aber Beauvoir begnügte sich nicht mit der Frage, ob man zum Feminismus überhaupt etwas Neues sagen könne. Sie fragte grundsätzlicher: Weiss man eigentlich überhaupt, wer und was «eine Frau» ist?
Was ist eigentlich ein Mann? Und eine Frau?
Genau hier liegt für sie der Haken: Nur schon die Tatsache, dass man diese Frage überhaupt stellen kann, findet sie verräterisch: «Nie würde ein Mann sich zuerst über seine Geschlechtszugehörigkeit definieren». Doch Frauen definieren sich oft genug so – und in Beziehung zum Mann. Sogar und erst recht dann, wenn sie sich von ihm abzusetzen versuchen. Ein Dilemma, an dem auch Judith Butlers Buch «Das Unbehagen der Geschlechter» von 1990 wenig änderte. Butler ging noch einen Schritt weiter als Beauvoir: Die Geschlechtsidentität ist ihr zufolge nur noch ein soziales Konstrukt.
Machtverhältnisse und Ohnmachtsverhältnisse
Doch nach wie vor klaffen Theorie und Alltag auseinander. Nach wie vor bleiben hier Fragen über Fragen und Befunde, die zu denken geben. Sie sind Thema in unserem HörPunkt «MANN MACHT FRAU» am Samstag, den 2. Februar 2013. Natürlich spielen wir an auf die biblische Geschichte von Adam, aus dessen Rippe Gott Eva erschafft. Aber wir bleiben nicht stehen bei ihr; wir fragen auch, ob Frauen nicht auch Männer machen.
Machtverhältnisse, Ohnmachtsverhältnisse – sie sind die Achse, um die sich unsere Gespräche mit Männern und Frauen von der Gynäkologin bis zum Wirtschaftsspezialisten, vom Studenten bis zur Chefredakteurin einer Frauenzeitschrift drehen werden.
Am Ende wissen wir vielleicht mehr darüber, wie wir künftig umgehen können mit der Macht, den Mächten, die zwischen Frauen und Männern spielen. Denn niemand, wirklich niemand sagt, dass alles so bleiben muss, wie es ist.