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Gesellschaft & Religion «Ich hoffe, dass sich eine islamische Reformation entwickelt»

Nach den Anschlägen von Paris wird von den in der Schweiz lebenden Musliminnen und Muslimen wieder erwartet, dass sie sich von den Gräueltaten der Islamisten distanzieren. Jasmin El-Sonbati erklärt, warum sie sich nicht rechtfertigen muss – und warum ihre Hoffnung auf die europäischen Muslime baut.

Jasmin El-Sonbati, Sie sind Gymnasiallehrerin in Basel, Muslimin und Mitbegründerin des «Forums für einen fortschrittlichen Islam» in Zürich. Wie ist es für Sie, sich ständig rechtfertigen zu müssen für Taten, die im Namen Ihrer Religion verübt werden, aber mit Ihnen nichts zu tun haben?

Jasmin El-Sonbati

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Jasmin El-Sonbati wurde 1960 in Wien als Tochter eines ägyptischen Vaters und einer österreichischen Mutter geboren. 1971 zog die Familie in die Schweiz. El-Sonbati studierte Romanistik in Basel und Wien und ist heute als Autorin und Gymnasiallehrerin tätig. Sie hat das Forum für einen fortschrittlichen Islam mitbegründet.

Ich muss mich nicht rechtfertigen, sondern bin als Mensch betroffen über diese Gewalt. Sie hat nicht nichts mit mir zu tun, sondern wird im Namen meiner Religion verübt. Da möchte ich hinschauen. Ich möchte dagegen kämpfen, dass sich diese Gewaltexzesse in unserer demokratischen Gesellschaft entladen.

Ist das nicht so, wie wenn man sich beispielsweise als Reformierte über Dinge äussert, die eigentlich nur der Katholizismus betreffen?

Ich lebe hier und nehme mir das Recht, Dinge zu verurteilen. Was in Paris geschehen ist, verurteile ich ganz klar – auch wenn es Zufall ist, dass ich derselben Religion angehöre und es eigentlich nichts mit Religion zu tun hat. Doch ich setze mich ein für Reformen innerhalb des Islam, für einen kritischen Umgang mit den Texten, für eine Öffnung. Das tue ich primär einfach als Mensch.

Sie bringen das Stichwort Reformen, Reformation: Geht der Islam heute durch dasselbe, was das Christentum vor 500 Jahren durchgemacht hat?

Es ist ja immer nur eine Fraktion, die diese Gewaltexzesse ausübt und nicht «der Islam». Doch diese radikale Lesart der Religion wird unterstützt vom wahhabitischen Islam, der eine ganz klare Agenda hat und in Saudi-Arabien entstanden ist. Diesen Einfluss gilt es bekannter zu machen. Denn in vielen anderen arabischen, muslimischen Ländern wird dieser Einfluss je länger je stärker. Das sehe ich etwa in Ägypten, wo ich aufgewachsen bin: Dort ist die Gesellschaft insgesamt konservativer geworden. Und das Geld, das den IS befördert, kommt von den Saudis – dessen muss man sich bewusst werden.

Doch ist es nicht schlicht überheblich zu sagen, der Islam brauche eine Reformation wie früher das Christentum? Damit sagt man ja quasi, der Islam sei halt noch nicht so weit.

Klar, das ist eine problematische Aussage. Aber das sind alles Prozesse. Prozesse werden ausgelöst, wenn Frauen und Männer beginnen, sich gegen gewisse Dinge zu wehren und auf Probleme hinweisen. Wir stecken bereits mitten in diesem Prozess, er findet nicht erst jetzt statt. Es gibt in den arabischen Ländern Intellektuelle, die sich einsetzen, es gibt aber auch Initiativen in England oder Amerika. Es passiert viel, doch die Bewegung hat noch nicht richtig Fuss fassen können. Denn der Mainstream-Islam ist noch sehr verhaftet in einem sehr engen, konservativen Diskurs.

Man steckt also schon mitten im Prozess. Wo muss denn diese Reformation losgetreten werden?

Da gibt es zwei Möglichkeiten: In den arabischen Ländern selber, obwohl ich dort wenig Spielraum sehe, da solche Bewegungen sofort mundtot gemacht werden. Deswegen zähle ich mehr auf die andere Möglichkeit, nämlich die Musliminnen und Muslime im Westen, in Europa. Diese sind freier, können sich frei äussern und werden nicht ausgepeitscht, wenn sie etwas Kritisches über die Religion sagen. Meine Hoffnung ist es, dass sich daraus eine Reformation entwickelt.

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