Mehr Ruhe und Gelassenheit – das wünschen sich viele in unserer krisengeschüttelten Welt. Entsprechend boomen Ratgeberbücher mit Titeln wie «Gelassenheit in 5 Schritten» oder «Der Königsweg zu innerer Ruhe».
Seelenruhe ist ein Begriff aus der antiken Philosophie der Stoa. Als «Neo-Stoa» erlebt sie derzeit ein populäres Revival. Selbst Boris Becker zitiert plötzlich Marc Aurel, einen der grössten Stoiker überhaupt. Und das «Trostbüchlein» des Epiktet erlebt Neuauflagen. Woher kommt dieser Hype?
Stoa-Hype als Phänomen der Krise?
Stoa scheint Trost zu schenken im Stress der «Zeitenwende». Laut Autor Matthias Kussmann hat der aktuelle Stoa-Hype auch damit zu tun, dass die alten Stoiker ihre Lehren in und für Krisenzeiten formulierten.
Beim ersten Stoiker Zenon war es die Krise der griechischen Stadtstaaten. Zur Zeit des römischen Kaiserphilosophen Marc Aurel wüteten Pandemien und Kriege. Beide machten die Erfahrung von Machtlosigkeit. Und machtlos fühlen sich auch heute viele Menschen angesichts von Krieg und Klimakrise.
Jammern hilft nicht
In der Säulenhalle von Athen, der «Stoa», kam Zenon zum Schluss: Doch! Im Kosmos – das ist Griechisch und heisst «Ordnung» – hängt alles logisch und mit allem zusammen. Alles ergibt Sinn und wir sind Teil davon.
Die Stoiker stellten sich gegen die im wahrsten Wortsinn «blendenden» Rhetoriker. Die Stoiker wehrten auch dem Einfluss der Emotionen. Triebe und Affekte sollte man besser in den Griff bekommen. Schmerz eben «stoisch» ertragen. Jammern helfe nichts.
Doch macht zu viel der «Seelenruhe» nicht apathisch, ja un-empathisch für das Leid anderer? Diese Frage wird der Stoa und ihren Adepten bis heute gestellt. Und auf neo-stoische Glücksratgeber mag diese Kritik auch zutreffen, wenn sie über dem individuellen Glück die Gemeinschaft vergessen.
Die grossen antiken Stoiker hingegen waren verantwortungsbewusst. Sie verzichteten auf Luxus. Kaiser Marc Aurel etwa lebte karg, schlief wenig und auf dem Boden.
Verkommen die Lehrsätze zu Kalendersprüchen?
In ihrer Pflichtenethik schärften Stoiker wie Seneca Staatslenkern Verantwortung für die Gesellschaft ein. Das nahmen sich Herrscher wie der aufgeklärte Friedrich der Grosse, «der Alte Fritz», zum Vorbild.
Doch schon in der Antike wurden Lehrsätze wie die von Epiktet, Seneca oder Marc Aurel popularisiert. Sie überlebten als Kalendersprüche, mit Sinnhäppchen für den Alltag.
Sich um nichts zu sorgen, das sich unserem Einfluss entzieht, das ist der Weg zum Glück.
Kein Wunder, dass der Stoa-Abklatsch auch in Personalcoaching und Management Einzug hält, wie der geflügelte Satz beweist: «Take it, change it, or – if you can’t change it – leave it». Wenn Du’s nicht ändern kannst, lass es sein!
Gelassenheit und stilles Glück
Eine stoische Kernthese empfiehlt, sich nicht an Problemen abzuarbeiten, die man selbst nicht lösen kann. «Sich um nichts zu sorgen, das sich unserem Einfluss entzieht, das ist der Weg zum Glück», rät Epiktet im «Handbüchlein der Moral».
Bloss: Wann soll ich von etwas lassen, weil es «eh nichts bringt». Und wo ist es nur Ausdruck von Resignation und Mutlosigkeit, zu sagen: «Ich kann ja doch nichts machen»?
Gelassenheitsratgeber können da vielleicht «beruhigen». Die grossen Antworten müssen sie schuldig bleiben.