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Warum stoisches Denken so modern ist
Aus Perspektiven vom 04.02.2023. Bild: Wikipedia_Marcus_Aurelius_Glyptothek_Munich
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Immer mit der Ruhe Stoa-Hype: Eine Krisenlehre für Krisenzeiten?

Gelassenheit, Entspannung, innere Ruhe – solche Begriffe haben Konjunktur. Schon die Stoiker proklamierten die sprichwörtliche stoische Ruhe. Wie gelangen wir zu ihr, und woher kommt der aktuelle Hype um die antike Denkrichtung? Auf den Spuren von Epitket, Seneca und Marc Aurel.

Mehr Ruhe und Gelassenheit – das wünschen sich viele in unserer krisengeschüttelten Welt. Entsprechend  boomen Ratgeberbücher mit Titeln wie «Gelassenheit in 5 Schritten» oder «Der Königsweg zu innerer Ruhe».

Seelenruhe ist ein Begriff aus der antiken Philosophie der Stoa. Als «Neo-Stoa» erlebt sie derzeit ein populäres Revival. Selbst Boris Becker zitiert plötzlich Marc Aurel, einen der grössten Stoiker überhaupt. Und das «Trostbüchlein» des Epiktet erlebt Neuauflagen. Woher kommt dieser Hype?

Stoa-Hype als Phänomen der Krise?

Stoa scheint Trost zu schenken im Stress der «Zeitenwende». Laut Autor Matthias Kussmann hat der aktuelle Stoa-Hype auch damit zu tun, dass die alten Stoiker ihre Lehren in und für Krisenzeiten formulierten.

Was ist die Stoa?

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Legende: Getty Images / Bettmann

Als Philosophie der Stoa wird eine philosophische Strömung bezeichnet, die rund 300 v. Chr. ihren Anfang nahm und mit der römischen Stoa etwa um 200 n. Chr. zu Ende ging.

Gemeinsam ist den Stoikern die Idee, dass wir unsere Gefühle und die Welt rational durchdringen können – und uns nicht als Spielball von Schicksal oder Emotionen begreifen sollten. Stoisch gelassen ist, wer sich selbst genügt.

Beim ersten Stoiker Zenon war es die Krise der griechischen Stadtstaaten. Zur Zeit des römischen Kaiserphilosophen Marc Aurel wüteten Pandemien und Kriege. Beide machten die Erfahrung von Machtlosigkeit. Und machtlos fühlen sich auch heute viele Menschen angesichts von Krieg und Klimakrise.

Jammern hilft nicht

In der Säulenhalle von Athen, der «Stoa», kam Zenon zum Schluss: Doch! Im Kosmos – das ist Griechisch und heisst «Ordnung» – hängt alles logisch und mit allem zusammen. Alles ergibt Sinn und wir sind Teil davon.

Die Stoiker stellten sich gegen die im wahrsten Wortsinn «blendenden» Rhetoriker. Die Stoiker wehrten auch dem Einfluss der Emotionen. Triebe und Affekte sollte man besser in den Griff bekommen. Schmerz eben «stoisch» ertragen. Jammern helfe nichts.

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Archiv: Mit Gelassenheit besser durchs Leben?
Aus Bleisch & Bossart vom 18.05.2022.
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Doch macht zu viel der «Seelenruhe» nicht apathisch, ja un-empathisch für das Leid anderer? Diese Frage wird der Stoa und ihren Adepten bis heute gestellt. Und auf neo-stoische Glücksratgeber mag diese Kritik auch zutreffen, wenn sie über dem individuellen Glück die Gemeinschaft vergessen.

Die grossen antiken Stoiker hingegen waren verantwortungsbewusst. Sie verzichteten auf Luxus. Kaiser Marc Aurel etwa lebte karg, schlief wenig und auf dem Boden.

Verkommen die Lehrsätze zu Kalendersprüchen?

In ihrer Pflichtenethik schärften Stoiker wie Seneca Staatslenkern Verantwortung für die Gesellschaft ein. Das nahmen sich Herrscher wie der aufgeklärte Friedrich der Grosse, «der Alte Fritz», zum Vorbild.

Reiterstandbild des römischen Kaisers Marc Aurel; er hat einen Lockenschopf, Bart und schaut in die Weite.
Legende: Weltgeist zu Pferde: Marc Aurel sah sich in seiner Zeit als römischer Kaiser (161-180) allerlei Unbill ausgesetzt. Seine «Selbstbetrachtungen» sind das letzte bedeutende Schriftwerk der Stoiker. Getty Images / Bettmann

Doch schon in der Antike wurden Lehrsätze wie die von Epiktet, Seneca oder Marc Aurel popularisiert. Sie überlebten als Kalendersprüche, mit Sinnhäppchen für den Alltag.

Sich um nichts zu sorgen, das sich unserem Einfluss entzieht, das ist der Weg zum Glück.
Autor: Epiktet (gest. 135 n.Chr.)

Kein Wunder, dass der Stoa-Abklatsch auch in Personalcoaching und Management Einzug hält, wie der geflügelte Satz beweist: «Take it, change it, or – if you can’t change it – leave it». Wenn Du’s nicht ändern kannst, lass es sein!

Gelassenheit und stilles Glück

Eine stoische Kernthese empfiehlt, sich nicht an Problemen abzuarbeiten, die man selbst nicht lösen kann. «Sich um nichts zu sorgen, das sich unserem Einfluss entzieht, das ist der Weg zum Glück», rät Epiktet im «Handbüchlein der Moral».

Bloss: Wann soll ich von etwas lassen, weil es «eh nichts bringt». Und wo ist es nur Ausdruck von Resignation und Mutlosigkeit, zu sagen:  «Ich kann ja doch nichts machen»?

Gelassenheitsratgeber können da vielleicht «beruhigen». Die grossen Antworten müssen sie schuldig bleiben.

Radio SRF 2 Kultur, 100 Sekunden Wissen, 3.2.2023, 06:54 Uhr

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