Das Wichtigste in Kürze:
- Laut Bundesamt für Statistik ist die Zahl der Studierenden, die sich für das Fach Geschichte einschreiben, seit 2004 um 38 Prozent zurück gegangen.
- Ein Grund für diesen Trend ist, dass Geschichte als Bestandteil in anderen Fächern wie zum Beispiel Kulturwissenschaften vorkommt.
- Zudem ergibt sich seit einigen Jahren eine Konkurrenzsituation der Universitäten mit den boomenden Fachhochschulen.
Was für ein Getümmel: Speere, Fahnen, bärtige Männer, die grimmig aufeinander losgehen.
Mit einem Gemälde von der Schlacht bei Sempach hat die «Schweiz am Wochenende» vor Kurzem einen Artikel illustriert, der für Aufsehen sorgte. «Schweizer Historiker alarmiert» hiess es im Titel.
Die Zahl der Geschichts-Studierenden sei massiv gesunken, heisst es: Die Vergangenheit drohe in Vergessenheit zu geraten.
Die Geschichtswissenschaft im Rückzugsgefecht – und weit und breit kein Winkelried, der das Fach retten könnte: Eine gute Story, zweifellos. Aber: Stimmt sie auch?
Sinken die Zahlen wirklich dramatisch?
Nachfrage beim Bundesamt für Statistik : Die Zahl der Studierenden mit Hauptfach Geschichte ist seit 2004 tatsächlich stark gesunken: Um 38 Prozent auf 2656 Studierende.
Das sei «keine erfreuliche Entwicklung», sagt Sacha Zala. Er ist Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte und damit so etwas wie der Cheflobbyist der Schweizer Historiker.
Allerdings sei das Problem zu relativieren, findet Zala: «Wenn man zum Beispiel diese Statistik bereinigt und die Kulturwissenschaften dazu nimmt, dann ist dieser Rückgang – prozentual gesehen – um einiges geringer. Dann sind es etwa 17 und nicht 38 Prozent.»
Was sind die Gründe?
Das klingt nach statistischer Schönfärberei. Doch dahinter steckt mehr. Geschichts- und Kulturwissenschaften sind eng miteinander verknüpft. Und der Rückgang beim klassischen Studienfach Geschichte hat viel mit dem Boom von kulturwissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Studiengängen zu tun.
In denen spielt Geschichte ebenfalls eine grosse Rolle. In den Gender Studies oder den Osteuropa-Studien etwa. Durch diesen Boom gebe es nun «mehr Konkurrenz im Feld».
Mehr Konkurrenz ist eine Erklärung
Das sagt auch Peter Gautschi, er ist Professor für Geschichtsdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Luzern: «Mehr Konkurrenz gibt es auch durch die neuen Pädagogischen Hochschulen. Wir haben dort boomende Studierendenzahlen und gute Berufsaussichten. Dort ist Geschichte immer eines der beliebtesten Fächer.»
Dass die Zahl der Geschichtsstudierenden im klassischen Sinn zurückgeht, ist vor diesem Hintergrund kein Ausdruck einer Krise. Eher ein Spiegel des Erfolgs. So sieht das auch Sacha Zala, der Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte. Viele seien heute «Geschichtsstudierende», ohne dieses Etikett zu tragen.
Kein Handlungsbedarf also?
«Doch, Handlungsbedarf besteht», meint Zala: «Wir müssen uns natürlich auch selbstkritisch fragen, wie gut wir unser Fach in der Öffentlichkeit vertreten und wie attraktiv das Fach für Studierende ist. Da gibt es Handlungsbedarf. Die Historischen Institute sollten die Wichtigkeit des Faches unterstreichen.»
Auf dem Arbeitsmarkt jedenfalls seien Historiker noch immer gefragt, sagt Sacha Zala. Fünf Jahre nach dem Ende des Geschichtsstudiums sind nur noch 2,8 Prozent der Absolventen arbeitslos.
Wichtig sei, dass die Historiker-Zunft selbstbewusst vermittle, welche Kernkompetenzen ein Geschichtsstudium vermittle.
Sacha Zala zählt dazu vor allem die Fähigkeit, Quellen kritisch zu hinterfragen. Nicht nur bei Dokumenten aus verstaubten Archiven. Sondern auch bei der Arbeit und im Alltag. Im Hier und Jetzt. Und: in der Zukunft.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt. 27. 6. 2017, 6.50 Uhr