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Gesellschaft & Religion In China schenken sie Lamborghinis fürs Jenseits

Den Verstorbenen soll es in Fernost an nichts fehlen. Ein Mal pro Jahr ehren Chinesen ihre Ahnen mit üppigen Geschenken. Sie legen Blumen und Nahrung nieder – und verbrennen weltliche Annehmlichkeiten symbolisch in Papierform. Ein junger Chinese katapultiert diesen Brauch nun ins Internet-Zeitalter.

An einem Tag im Frühjahr lösen sich in China Geldscheine, Autos und gar Häuser in Rauch auf. Im ganzen Land verbrennen Menschen symbolisch Gegenstände für jene, die nicht mehr sind.

«Behandle die Toten wie die Lebendigen», besagt ein chinesisches Sprichwort. Vom Grundnahrungsmittel bis zum Luxusgut. Im Jenseits sollen Chinesen von denselben Annehmlichkeiten profitieren wie zu Lebzeiten. Jedoch gilt das im übertragenen Sinne: Die Objekte bestehen nur aus Papier.

Soziales Netzwerk der Toten

So schnell, wie sich Chinas Welt verändert, wandeln sich auch die Ansprüche der Toten. Bo Jia hat Chinas Ahnenkult ins 21. Jahrhundert transferiert. Der Designer verkauft technische Spielereien in Papierform: Handys, Tablets, Fotoapparate. Um alle Bestellungen bewältigen zu können, heuert Bo Jia auch Obdachlose an; sie basteln die Papier-Spielzeuge für ihn zusammen.

Bildschirm, der ein Herz aus Rosen zeigt.
Legende: 99 Rosen für einen geliebten Menschen. Das teuerste virtuelle Produkt im «Netzwerk der Toten». SRF

Seine neuste Idee: ein soziales Netzwerk der Toten. Auf den Papier-Produkten ist ein Rubbel-Code für eine kostenlose Mitgliedschaft aufgedruckt. «Man kann aus physischen digitale Andenken machen und diese mit Freunden teilen», erklärt Bo Jia seinen virtuellen Friedhof.

Im Netzwerk gestalten die Mitglieder, rein privat oder für andere freigeschaltet, Profil-Seiten für ihre Verstorbenen. Sie huldigen ihnen in persönlichen Zeilen – und können sie auch hier beschenken. Dann wird es allerdings kostenpflichtig. Umgerechnet 1 Franken für virtuelle Räucherstäbchen, 5 Franken für einen Sportwagen, gar 30 Franken für einen Strauss mit 99 Rosen muss bezahlen, wer die Seiten seiner Verstorbenen aufhübschen will. Im Internet, argumentiert Bo Jia, könnten die Produkte, die sonst verbrannt werden, tatsächlich für die Ewigkeit bleiben.

Zu Millionen auf den Friedhöfen

Qingming-Fest

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Das Qingming-Fest findet jährlich Anfang April statt und gilt in China als offizieller Feiertag. Es geht zurück auf einen Königssohn aus dem 7. Jh. v. Ch. und dessen Ehrung seines ehemaligen Bediensteten. Dieser soll sich Fleisch aus seinem Oberschenkel herausgeschnitten haben, um seinen Meister vor dem Hungertod zu bewahren.

Qingming ist eines der wichtigsten Feste des Jahres. Menschen pilgern zu Millionen auf die Friedhöfe, pflegen die Gräber und beschenken ihre Verstorbenen mit Blumen, Nahrungsmitteln und Papier-Objekten. Offizielle chinesische Stellen gehen davon aus, dass sich an diesem Tag jeweils 120 Millionen Chinesen auf den Weg zu Friedhöfen machen.

Im Unterschied zu anderen Erdteilen besucht man in Fernost Gräber in der Regel nicht; die Verstorbenen sollen ruhen dürfen. Einzig am Qingming-Fest sind die Stätten der Toten voller Lebender.

Dem Tag der Trauer wohnt auch eine fröhliche Note bei. Mitten im Frühling nutzen viele Chinesen die Gelegenheit für einen Ausflug in der aufblühenden Natur. Gleichzeitig lassen sie unzählige Flugdrachen in die Luft steigen – mit einer Besonderheit: Sie trennen die Papierdrachen ab einer gewissen Höhe von ihrer Schnur. Die freifliegenden Drachen versprechen Glück und Heilung – und bilden in der Nacht zusammen mit Lampions, die an ihnen befestigt sind, einen Sternenhimmel für die Verschiedenen.

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