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Indigene aus Patagonien Brutale Völkerschau: Als die Kawesqar in Zürich vorgeführt wurden

Einst wurden sie aus Patagonien nach Zürich verschleppt, wo viele den Tod fanden. Nun besucht eine Delegation der einstigen Seenomaden die Stadt – nicht um anzuklagen, sondern um aufzuklären.

1881 verschleppte ein Seehundjäger in Patagonien eine elfköpfige Gruppe indigener Seenomaden. In Europa übernahm sie der Hamburger Tierhändler Carl Hagenbeck und stellte sie als «Die Wilden von den Feuerlandinseln» aus: Vier Männer, vier Frauen und drei Kinder sollten spärlich bekleidet ihr Leben als «Wilde» vorführen.

Weisser Mann mit Stock posiert neben Indigenen in Fellkleidung
Legende: Erniedrigende «Völkerschau»: Indigene aus dem Volk der Selk’nam aus Patagonien, die 1889 nach Paris gebracht wurden. Die Kawesqwar wurden auf eine ähnliche Weise ausgestellt. Wikimedia Commons

Hunderttausende strömten in Paris, London, München und anderen Städten zu dieser entwürdigenden «Völkerschau». Nicht selten fand sie in den zoologischen Gärten statt.

Darwins übles Erbe

In Zürich überschlug sich die Presse: «Ihr Gesichtsausdruck – wenn man dieses Wort überhaupt verwenden darf – ist stupide und lässt auf vollkommenen Mangel an Intelligenz schliessen», schrieb ein Journalist.

Der Balmaceda-Gletscher im O’Higgins-Nationalpark.
Legende: Der Balmaceda-Gletscher im O’Higgins-Nationalpark in Chile. Aufgrund archäologischer Funde ist klar, dass Nomaden hier schon vor Jahrtausenden lebten. Francisco González

Nicht die edlen Wilden wollte man zeigen und sehen, sondern die primitiven, der Sprache kaum mächtigen Kannibalen, die man für beinahe tierhaft hielt.

Zu diesem Bild hatte ausgerechnet Charles Darwin massgeblich beigetragen. Als junger Mann hatte er die Kawesqar auf seinen Reisen von weitem beobachtet und sie als näher mit Tieren als mit Menschen verwandt beschrieben.

Auf der Überfahrt verstorben

Als die Kawesqar 1882 in Zürich eintrafen, waren zwei Angehörige des Volkes bereits verstorben. Eine dritte Frau folgte ihnen kurz nach der Ankunft ebenfalls in den Tod.

Kein Grund zur Aufregung – beruhigte die Lokalzeitung «Die Limmat»: «Unser Klima scheint den Feuerländern nicht zu behagen. Bereits ist ein Mitglied der Truppe gestorben. Selbstverständlich finden die Ausstellungen doch statt, da ein solcher Fall keinen Anlass zu besonders grosser Trauer …»

Ausstellungshinweis

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«Ko Aswál – The Next Day» findet vom 18. bis am 30. Juli und vom 29. August bis 3. September 2023 im Völkerkundemuseum Zürich statt. Unter anderem gibt es tägliche Talks mit der Delegation der Kawesqar.

Nur zwei der drei Kinder und zwei junge Erwachsene überlebten das Zürcher Spektakel und wurden schliesslich «zurückgebracht». Über deren späteres Los ist nichts bekannt. Dagegen ist dasjenige der fünf in Zürich Verstorbenen bestens dokumentiert: zu wissenschaftlichen Zwecken wurden die Leichen ausgeweidet und skelettiert, einzelne Organe wurden zudem konserviert.

130 Jahre bis zur Aufarbeitung

2010, rund 130 Jahre nach ihrem Tod, wurden die Toten von Zürich nach Chile restituiert. Erst da haben die heutigen Kawesqar von der grausamen Behandlung ihrer Vorfahren erfahren – und das brachte einiges ins Rollen. Etwa den Besuch einer Delegation in Zürich.

DIe Kawesqar heute

Mitgebracht haben die Kawesqar eine Ausstellung, mit der sie im Völkerkundemuseum Zürich dem Bild der «Wilden» ihre wirkliche, weltweit einzigartige Kultur ehemaliger Jäger und Sammler gegenüberstellen.

Sie suchen Versöhnung

Und sie wollen reden: mit den Besuchenden, den Medien – über damals und heute. Sie kommen nicht als Opfer der einstigen Geschichte und haben keine Forderungen nach Entschädigungen im Gepäck. Vielmehr suchen sie Versöhnung und wollen als moderne indigene Zeitgenossen zur Kenntnis genommen werden.

Eine Gruppe von Indigenen aus Chile in Zürich.
Legende: Sie wollen als moderne Zeitgenossen zur Kenntnis genommen werden: Die Kawesqar Pamela, Martina and Leon González präsentieren in Zürich ein Modell eines Hauses. Francisco González

Das mag harmlos klingen, sollte aber nicht über den politischen Gehalt hinwegtäuschen: Denn in Chile ist immer noch die Verfassung des Diktators Pinochet im Einsatz. In dieser ist für Indigene kein Platz im Land vorgesehen.

Eine neue Verfassung, die das geändert hätte, wurde letzten Herbst abgelehnt. In den aktuellen Diskussionen um eine nächste Revision sind die Indigenen jetzt wieder ausgeschlossen.

Buchhinweis

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Rea Brändle: «Wildfremd, hautnah. Zürcher Völkerschauen und ihre Schauplätze 1835–1964». Rotpunktverlag, erweiterte Neuauflage 2013.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 21.07.2023, 17:40 Uhr

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