Von der Umarmerin Amma über Maharashi mit seiner «Transzendentalen Meditation» bis zu Osho: Indiens Gurus sind längst im Westen angekommen und bündeln auch hier Tausende Anhänger. Doch die spirituellen Lehrer werden auch scharf kritisiert.
Religionswissenschaftlerin Vanessa Lange promoviert an der Universität Bern zu sozialen Netzwerken unter Guru-Anhängern. Sie weiss, von welcher Seite her die Bedenken kommen – und wo Gurus unhinterfragt verehrt werden.
SRF: Weshalb finden indische Gurus auch bei uns diverse Anhänger?
Vanessa Lange: Indien gilt seit langem als prototypisch «spirituelles» Land und stellt damit für viele hiesige Menschen einen Sehnsuchtsort dar.
Für manche Personen ist eine spirituelle Praxis wie zum Beispiel Meditationsübungen oder eine starke persönliche Beziehung zu einem spirituellen Lehrer offensichtlich attraktiv.
Gurus schaffen es mit ihren Reisen in diverse Länder und auch durch mediale Kanäle, im Leben ihrer Anhänger stark präsent zu sein. Wohl nicht zuletzt dadurch, dass dort jede Form von Religion und Spiritualität Platz hat, man seine «Herkunft» also nicht ablegen muss.
Diverse Gurus haben auch einen enormen finanziellen Erfolg. Sind diese millionenschweren Foundations wirklich philanthropisch zu lesen oder vielmehr ein Ego-Projekt?
Die Anhänger können den wirtschaftlichen Erfolg zumindest problemfrei als Bestätigung für die spezielle Gabe ihres Gurus lesen. Sie stehen mit ihren positiven Erfahrungen auch hinter den Angeboten und Produkten des Gurus und freuen sich, wenn diese vielen Menschen zu Gute kommen.
Aber natürlich sind auch sie vor Machthunger und Gier nicht gefeit.
Ich kann mir vorstellen, dass der Ansatz zur Weltverbesserung, Friedensförderung und das Ermöglichen von persönlichem Wachstum für alle Beteiligten etwa von Sri Sri Ravi Shankar oder anderen Gurus durchaus ernst gemeint und nicht einfach eine «Fake-Nummer» zur eigenen Bereicherung ist. Aber natürlich sind auch sie vor Machthunger und Gier nicht gefeit.
Auffällig ist, wie oft der indische Premierminister Narendra Modi mit verschiedenen Gurus auftritt. Modis hindunationalistische Regierung ist immer wieder Gegenstand von Kritik, weil sie religiöse Minderheiten unterdrückt. Dienen Gurus der politischen Meinungsmache?
Tatsächlich sind Gurus relevante Akteure bei der Globalisierung von Hinduismus und auch bei einer Konstruktion eines angeblich einheitlichen Hinduismus. Es überrascht darum nicht, dass Modi sich öffentlich immer wieder mit religiösen Autoritäten zeigt.
Interessant ist, dass westliche Anhänger nach meiner Erfahrung oft keinerlei Ahnung haben, welche Rolle und welches Gewicht diese Gurus politisch haben.
Gurus profitieren vom Auftritt mit hindunationalistischen Politikern, weil sie die passenden religiösen Inhalte bieten, die für viele von Modis Wählern aus der indischen Mittel- und Oberschicht interessant sind: Keine Verehrung von lokalen Ahnengeistern. Die Betonung einer auf jahrtausendealter Tradition begründeten «starken Religion», die zu einem «starken Land» passt, bei der aber auch individuelle spirituelle Selbstverwirklichung zentral ist.
Und was sagen hiesige Anhänger dann zu dieser problematischen Nähe?
Im Grunde sind die zahlreichen westlichen Anhänger nicht mit diesem Gedankengut kompatibel. Interessant ist, dass westliche Anhänger nach meiner Erfahrung oft keinerlei Ahnung haben, welche Rolle und welches Gewicht diese Gurus politisch haben.
Wenn ihr Guru sich mit ranghohen Politikern zeigt, sehen die nicht-indischen Anhänger dies also in den meisten Fällen tatsächlich einfach nur als Zeichen dafür, dass ihr Guru wichtig und glaubwürdig ist.
Das Interview führte Olivia Röllin.