«Natürlich ist auch das Bild wichtig», sagt Rafael Nyffeneger. «Aber die Emotion dahinter interessiert mich mehr.» Er wischt durch Instagram, erkennt Konzertaufnahmen, Naturbilder, Nagetiere.
Deutlich sieht er sie nicht, denn Nyffeneggers Sehvermögen ist stark beeinträchtigt. Er sieht weniger als 10 Prozent. Was Freunde, Bekannte und seine Lieblingsmusiker auf Instagram posten, will der 28-Jährige dennoch erfahren.
Wer war gerade auf einer Wanderung im Engadin? Wo spielen bald die Berner Troubadours? Nyffenegger hält das Handy sehr nahe ans Gesicht. Die Bilder kann er nur teilweise wahrnehmen.
Schaltet er den Screenreader ein – eine akkustische Bedienungshilfe im Smartphone –, wird ihm vorgelesen, was auf dem Smartphone erscheint. Ein Instagram-Post aus dem Engadin klingt dann so: «Bild könnte enthalten: Baum, Himmel, im Freien, Natur und Wasser.»
Aus idyllisch wird holprig
Das idyllische Bild einer Berglandschaft kommt per Screenreader roboterhaft daher. Kein Wunder: Was auf dem Bild zu sehen ist, erzählt eine künstliche Intelligenz mit Objekterkennungstechnologie, die das Foto gescannt hat.
Noch vor ein paar Monaten hätte Nyffenegger zu diesem Post nur das Wort «Bild» gehört. Damit Instagram für Menschen mit Sehbehinderung zugänglicher wird, hat die Plattform neben der KI-Bildbeschreibung auch den Alternativtext eingeführt.
So kann jeder eine ausführliche Bildbeschreibung hinzufügen. Leute, die den Screenreader eingeschaltet haben, bekommen sie dann vorgelesen. Ist keine manuelle erfasste Beschreibung da, wird die KI-Beschreibung ausgegeben.
Bildmedium für Sehgeschwächte
Sehschwäche und ein Medium, das überwiegend auf Bild- und Videoposts basiert: Warum will sich Nyffenegger gerade auf Instagram vernetzen? «Ich arbeite zurzeit in einer geschützten Werkstatt, nebenbei bin ich aber Liedermacher und schreibe gerne», sagt er. Seine Kunst präsentiere er auf Instagram – die Plattform biete sich als Werbeplattform an.
«Es ist schön, wenn man beachtet wird und Resonanz für seine Arbeit bekommt.» So freut sich auch Rafael über Likes, wenn seine Texte oder Songs mit einem mit Herzchen versehen werden. Reagiert jemand mit einem Emoji, kann es so klingen: «Grinsendes Gesicht mit zusammengekniffenen Augen.»
Was können Sehende tun?
Über Funktionen wie den Alternativtext freut sich Nyffenegger, auch wenn er die Extra-Bildunterschrift lieber in der gewöhnlichen Textzeile auffinden würde. Selber verfasse er kaum eigene Alternativtexte. Die Funktion ist für ihn schwer auffindbar.
Trotzdem sei sie hilfreich. Denn nicht jeder Blinde ist gleich blind. Es gibt Leute, die gar nichts sehen, andere wiederum sehen hell und dunkel, wieder andere können Dinge oder Gesichter bei besonderen Lichtverhältnissen besser erkennen.
Für Nyffenegger sind Posts dann sperrig, wenn sie ohne nützliche Beschreibung in der Timeline auftauchen. Darum hat er eine höhere Erwartung an Instagram-Beiträge.
Sein Wunsch an die sehenden Instagram-User? Mehr Text, mehr gezielte Hashtags, kurz: mehr Hintergrund zu den Bildposts. Denn hier will jemand teilhaben, der an der Oberflächlichkeit von Instagram kratzt.