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Gesellschaft & Religion Ist Architektur mit faschistischen Parolen erhaltenswert?

«Mussolini Dux!» steht auf einem Obelisk in Rom, der regelmässig mit Steuergeldern restauriert wird. Erst jetzt, 72 Jahre nach Mussolini, ist eine Diskussion entbrannt: Darf man Bauwerke mit faschistischen Parolen pflegen? Antifaschisten jubeln, Historiker sind entsetzt.

Italienreisende bekommen sie an Gebäuden aus den 1930er- und 40er-Jahren immer wieder zu sehen: faschistische Parolen und in Stein gemeisselte Zitate von Benito Mussolini. Anders als in Deutschland nach dem Ende des NS-Regimes wurden in Italien architektonische Zeugnisse des Faschismus, inklusive faschistischer Inschriften, nicht entfernt.

Erinnerungen an den Faschismus auslöschen

Heller Obelisk umgeben von Verkehr.
Legende: Der Obelisk mit der Inschrift «Mussolini Führer» wird regelmässig restauriert. Flickr.com/ Anthony Majanlahti

Im Gegenteil: Bedeutende Bauwerke des Faschismus werden regelmässig restauriert. Wie das Foro Italico in Rom. Zu der Sportstätte gehört ein Obelisk, auf dem gut leserlich der Duce gewürdigt wird. Mit ihrem jetzigen Versprechen, solche Erinnerungen an den Faschismus auszulöschen, erhielt Italiens Parlamentspräsidentin Laura Boldrini den Applaus vor allem von betagten antifaschistischen Partisanen.

Faschismus als Avantgarde

Doch heftig kritisiert wird Boldrini von Italiens Kunst- und Architekturhistorikern. Die Fachleute weisen auf die kulturellen Wurzeln der faschistischen Architektur und Kunst hin. Die lägen, erklären sie, im italienischen Futurismus Anfang des 20. Jahrhunderts.

Der Futurismus hatte sich das Ziel gesetzt, nicht nur die Künste, sondern die gesamte Gesellschaft avantgardistisch und revolutionär zu verändern. Der Futurismus orientierte sich politisch rechts. In diesem kulturellen Umfeld wurde aus dem Sozialisten Mussolini der Gründer des Faschismus und ein Verfechter der modernen Architektur.

Vom Bauhaus inspiriert

In diesem Sinn wollte Mussolini aus Rom eine neue Stadt von antiker Grösse machen. Aber eben nicht wie Hitler in einem rückwärtsgewandten neoklassizistischen Stil. Mussolinis Lieblingsarchitekten, vor allem Marcello Piacentini, favorisierten den sogenannten Rationalismus: einen Mix aus den klaren Formen des deutschen Bauhaus und klassischen Architekturelementen wie Bögen, Säulen, Würfel und Kuppeln. Alles ohne neoklassizistische Schnörkel.

Wie zukunftsweisend und modern dieser Stil sein konnte, beweist die Casa del Fascio in Como. In den frühen 1930er-Jahren nach einem Entwurf von Giuseppe Terragni errichtet, wirkt dieses Bauwerk wie ein Projekt der 1980er-Jahre: klare Linien und radikal dekorationsfreie Flächen.

Während der 20-jährigen Herrschaft Mussolinis entstanden in Italien und in den vom Regime eroberten Kolonien in Afrika ganze Städte ex novo. Immer im Stil des Rationalismus. Latina zum Beispiel: Die südlich von Rom gelegene Kleinstadt wurde 1932 aus dem Boden gestampft.

Auch Le Corbusier wollte dabei sein

Idealtypisch für den faschistischen Rationalismus ist das römische Stadtviertel Eur, das jeder architekturinteressierte Rombesucher besichtigen sollte. Geplant für die Weltausstellung 1942, konnte das Viertel in Folge des Weltkriegs erst nach dem Sturz des Diktators beendet werden.

Ein städtebauliches Projekt von so modernem Ansatz, dass der Architekt Le Corbusier bei Mussolini anfragte, ob auch er bei der Realisation beteiligt sein dürfe. Mussolini lehnte allerdings ab – Eur sollte ein Werk italienischer Architekten sein. Eur fasziniert mit einem Mix aus monumentalen Bauwerken, breiten Strassen und grossflächigen Grünzonen. Heute gilt es als eines der begehrtesten Wohnquartiere Roms. Sicherlich nicht ohne Grund.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, «Kultur kompakt», 24.6.2015, 12.10 Uhr

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