Einmal mehr arbeitet sich Jean Ziegler an seinem Lebensthema ab: dem Kapitalismus, den der Soziologe «vollkommen, radikal» zerstören will. Denn der Kapitalismus ist laut Ziegler schlecht, einzig auf Profit aus.
Der Kapitalismus nimmt skrupellos den Tod unzähliger Menschen in Kauf, verteilt systematisch Einkünfte von unten nach oben, so Ziegler. Er ruiniere den Planeten durch masslosen Ressourcenverbrauch und so weiter.
Den Kapitalismus nimmt Ziegler ausschliesslich in seiner zügellosen, unregulierten Form wahr. Als ob etwa die soziale Marktwirtschaft nicht existierte.
Der Grossvater erklärt
Jean Ziegler hat sein neues Buch als klassisches Lehrgespräch gestaltet: Der Grossvater stillt den Wissensdurst seiner Enkelin Zohra. Auf den 126 Seiten saust Ziegler quer durch das einschlägige antikapitalistische Argumentarium.
Freihandel, Finanzwirtschaft, multinationale Konzerne, Oligarchen, Schuldenlast der Länder der Dritten Welt, die unweigerlich bevorstehende Revolte … kein Begriff aus dem kapitalismuskritischen Wortschatz, der in diesem Dialog nicht vorkäme. Wer die Bösen sind, ist klar. Ein Weltbild, das genauso einfach ist wie das Lob des alles regulierenden Marktes, das die Gegenseite gerne anstimmt.
Das eigene Weltbild untermauert
Zwar mag man des Öfteren denken: Ziegler hat recht. Vielen Akteuren fehlt es wirklich an sozialem Bewusstsein. Das globale Ungleichgewicht schreit zum Himmel.
Bloss: Die Zahlen und Zitate, die Jean Ziegler niederschreibt, die Informationen, die er ins Feld führt, belegt er nicht durch Quellenangaben. Zudem verwendet er ausschliesslich Material, das sein Weltbild untermauert.
Konträres blendet er aus: Dass die absolute Armut weltweit zurückgegangen ist, verschweigt Ziegler beispielsweise. Die Menschenrechte zählen für ihn nur, wenn sie seiner Sache dienen. Das Recht auf Eigentum zum Beispiel, das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UNO verankert ist, erwähnt er nicht. Privateigentum sieht Ziegler gar als die Grundlage des Übels. Die Französische Revolution ist für ihn «der politische, ideologische und wirtschaftliche Triumph des kapitalistischen Bürgertums».
Eine Sammlung von Glaubenssätzen
Jean Ziegler schreibt zwar, wenn man die Geschichte betrachte, sei «die fortschreitende Humanisierung des Menschen unübersehbar». Das macht er an der Abschaffung der Sklaverei, der Emanzipation der Frauen im Westen und der Schaffung der allgemeinen Sozialversicherung fest.
So schlimm können die Verhältnisse – zumindest in demokratischen Rechtsstaaten – also nicht sein. Dennoch verfolgt Ziegler unbeirrt sein Szenario des schwärzesten Kapitalismus weiter, der die Welt zu Grunde richtet.
Deshalb wirkt dieser Text wie eine Sammlung von Glaubenssätzen, wie ein Grundkurs in Kapitalismuskritik – und nicht wie eine Schrift, die kraft ihrer Argumente überzeugen will. Jean Ziegler predigt zu den ohnehin Eingeweihten. Von denen gibt es etliche. «Was ist so schlimm am Kapitalismus?» fand sich in vielen Ländern auf den Bestsellerlisten.