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Streitfrage Jenseitskontakte
Aus Sternstunde Religion vom 28.02.2021.
Bild: SRF/Oscar Alessio abspielen. Laufzeit 1 Minute.
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Jenseitskontakte Ich war bei einem Medium und fand es ziemlich jenseits

Mit Toten sprechen? Manche Menschen behaupten, sie können das. Wie läuft so ein Jenseits-Gespräch ab? Ein Selbstversuch mit Medium.

In der ländlichen Idylle meines 4000-Seelen-Heimatdorfes war der Tod im Dorfkern zuhause. In einer kleinen Kapelle neben der Kirche hat man die Verstorbenen aufgebahrt.

Gleich gegenüber stand ein Kiosk mit einer prall gefüllten Auslage an Schleckwaren. Noch heute sehe ich, wie die Verkäuferin mit ihren langen, künstlichen Fingernägeln die Zuckerschlangen aus den Behältern krallt.

Süssigkeiten gegen Leichenschau

Kiosk und Kapelle standen in einer eigentümlichen Verbindung, wurden sie doch Teil einer Mutprobe unter uns Kindern: Wer sich am längsten bei den Leichen aufzuhalten traute, durfte Süssigkeiten aussuchen.

Oft ergriff mich der Schreck beim Anblick der Toten. Waren diese Körper wirklich einmal warm und beweglich? Etwas unruhig war ich deshalb schon, als ich mich aufmachte, um zu hören, was mir die Toten zu sagen haben.

Unterrichtsstunden für Medialität

In der Schweiz gibt es ein grosses Angebot an sogenannten «Medien». Also Menschen, die behaupten, sie könnten mit Verstorbenen sprechen. Sogar Schulen für Medialität finden sich.

Die Webseite deinmedium.ch, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen nennt deren 20 und vermerkt knapp 200 Mitglieder, die Botschaften aus dem Jenseits vermitteln. Wohl nur ein Bruchteil des schweizerischen Angebots.

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Jenseitskontakte (Folge 3)
Aus Reise ins Übersinnliche vom 14.03.2019.
abspielen. Laufzeit 36 Minuten 9 Sekunden.

Das Medium von nebenan

Es war ein grauer Tag als ich mich aufmachte, mich meinen Geistern zu stellen. Im Voralpen-Express fuhr ich durch Schneelandschaften an Loipen vorbei, um am Pilgerort Einsiedeln anzukommen. Ich lief am Kloster vorbei, während dicke Schneeflocken vom Himmel stolperten.

Mein Medium hat sich in einem Einfamilienhaus einquartiert. Eine sympathische Dame mittleren Alters empfängt mich.

Ihre langen grauen Haare hat sie mit einer Klammer zusammengebunden. Ihre wachen blauen Augen liegen auf mir, als sie mich in einen Raum mit einer Liege und zwei Stühlen weist.

Menschen sitzen im Kreis um einen Tisch bei einer Séance
Legende: Menschen, die Botschaften aus dem Jenseits vermitteln, gibt es in der Schweiz etliche. Getty Images/Kelvin Murray

Gar nicht so gruselig

Dann geht es plötzlich schnell. Nach einer kurzen Einführung taucht der erste Tote auf: Ein Herr zwischen 60 und 70 sei anwesend. Charmant und bestimmt sei er, sagt das Medium. Er habe sich in seinem Dorf eingesetzt. «Können Sie damit etwas anfangen?»

Ich bejahe zögerlich und erblicke die Kerze, die vor mir auf dem Tisch steht. Sonderbar, denke ich, wie nüchtern hier alles wirkt. Nichts vom Grusel des Totenhauses in meinem Heimatdorf.

Ich kenne keinen Antonio

Im weiteren Verlauf erhalte ich Informationen, mit denen ich nichts anfangen kann. Der Herr habe jung ausgeschaut, weit weg gewohnt und eine Krankheit im Nierenbereich gehabt. Mein Medium höre den Namen Anton oder Antonio. Fehlanzeige.

Die Urspünge: Der englische Spiritismus

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Diese Form der Kontaktaufnahme mit Verstorbenen geht zurück auf den englischen Spiritismus des 19. Jahrhunderts. Damals wurden sogenannte Séancen veranstaltet, Gruppensitzungen im kleinen Kreis und abgedunkelten Raum. Begleitet wurden diese Zusammenkünfte von angeblich paranormalen Erscheinungen wie Klopfgeräuschen oder Levitationen.

Was damals primär Abendgesellschaften der feineren Klasse beschäftigte, ist heute in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Offenbar nehmen sowohl kirchennahe als auch kirchenferne Personen die Dienste eines Mediums in Anspruch oder bieten diese selbst an.

Grüsst die Grossmutter?

Das Medium versucht es mit einer neuen Toten. Eine Frau, die sich immer schön angezogen habe. Am Schluss sei sie im Spital gewesen. Dann folgen Aussagen zum Interieur ihrer Wohnung. Hübsch eingerichtet sei sie gewesen – naja. Sie sehe ein Bild im Wohnbereich. Es sehe dunkel aus. Vermutlich etwas Religiöses.

Frau steht vor einem Fenster mit Vorhang im Halbdunkel
Legende: Wahrheitsgetreu oder einfach nur Glück: Der Blick ins Reich der Toten. Getty Images/Cavan Images

Obwohl die Trefferquote bei einer solch allgemeinen Aussage und Personen der vorletzten Generation hoch sein dürfte: Hier trifft sie nicht ins Schwarze. Schliesslich werden Allgemeinplätze wie vererbter Schmuck und seltener werdende Besuche abgegrast.

Langsam fühle ich ein Unbehagen in mir aufsteigen. Nicht nur, weil ich hinter den Beschreibungen niemanden zu erahnen vermag. Sondern weil ich die Frau mir gegenüber so gar nicht in ihrer Tätigkeit bestätigen konnte.

Die Sache mit dem Bruder

Dinge, die ich nicht einordnen kann, solle ich einfach mal auf der Seite lassen. Mit der Zeit werden das ziemlich viele Dinge. Die Sitzung wird bald mehr zu einer Fragestunde.

Ob ich einen Bruder habe? Es sei wichtig, sich immer wieder auszutauschen und den Kontakt zu behalten. Die Frage ist nur, welcher meiner drei Brüder hier gemeint ist.

Ich muss an die vielen Kritikerinnen und Kritiker dieser Methode denken. Und daran, was sie als «Cold Reading» und «Barnum-Effekt» bezeichnen.

Kurz erklärt: «Cold Reading und «Barnum-Effekt»

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Beim «Cold Reading» wird der Klient ohne vorherige Informationen vor Ort analysiert und eingeordnet. Es werden möglichst allgemeine Aussagen getroffen, damit man dem Eindruck erliegt, hier tatsächlich gemeint zu sein.

Die fehlenden Puzzleteile fügt man schliesslich selbst hinzu («Barnum-Effekt»), weil man glauben möchte, dass da tatsächlich die Grossmutter im Raum flackert.

Ist hier tatsächlich die Schulfreundin?

Dann aber werde ich aus meiner Resignation gehoben. Mein Medium beschreibt eine neue Tote. Sie sehe eine junge Frau, nicht älter als 25. Sie sei unverhofft gestorben. Ich werde nervös.

Natürlich hatte ich mir im Vorfeld auch darüber Gedanken gemacht, von wem ich mich in meinem Leben schon verabschieden musste und wer in einer solchen Sitzung auftauchen könnte.

Auch an meine enge Schulfreundin habe ich gedacht. Sie ist mit 20 gestorben. Tatsächlich meint das Medium, ich kenne die Verstorbene von meiner Ausbildung her.

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Kontakt mit Verstorbenen – Humbug oder Realität?
Aus Sternstunde Religion vom 08.11.2015.
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Die Enttäuschung

Ich bin enttäuscht, als die weiteren Beschreibungen den Punkt wieder verfehlen. Ich konnte schon bis hierher nicht wirklich einordnen, was hier genau geschieht. Jetzt bin ich hochgradig irritiert, als mich das Medium wissen lässt: «Ihre Freundin wurde im Himmel nicht bestraft.»

Ich bin skeptisch in diese Sitzung gegangen. Denn ich bezweifle, dass sich Tote um irdische Angelegenheiten wie Schmuck oder die zurückgelassenen Häuser sorgen, sofern sie sich denn überhaupt um irgendetwas kümmern.

Einen kleinen zweifelnden Einriss in meine Überzeugungen hätte ich mir aber schon gewünscht. Eine Spur kindlichen Grusels, eine Idee der Unfassbarkeit des Todes. Ein Quäntchen Zweifel in der Bastion meines Verstandes.

Stattdessen verlasse ich das Haus in Einsiedeln und denke: Ich spreche lieber mit den Lebenden als mit solchen Toten.

Sendung: SRF 1, Sternstunde Religion, 28.02.2021, 10:00 Uhr

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