Mitten in Zürichs Altstadt führt eine zentrale Brücke über die Limmat. Benannt ist sie nach Rudolf Brun, dem ersten Bürgermeister der Stadt. Nun soll sie, so will es der Vorstoss der Stadtzürcher Alternativen Liste, nach Frau Minne benannt werden. Der Vorstoss fordert ausserdem, dass die nahegelegene Brunngasse Moses-ben-Menachem-Gasse heissen soll, nach dem Sohn von Frau Minne.
Hintergrund der Geschichte: Rudolf Brun soll im 14. Jahrhundert die Verfolgung und Ermordung von jüdischen Mitbürgern toleriert haben. Er habe gar selber von der Enteignung jüdischen Besitzes nach den Pest-Pogromen profitiert. Wer aber war Frau Minne, die Anwärterin auf den Brückennamen?
Ein reiches Leben an der Brunngasse
Einblick in das Leben der wohlhabenden jüdischen Familie um Frau Minne gibt es in einem Altstadthaus an der Brunngasse 8. «Die Familie verstand sich als Teil der Oberschicht», sagt Dölf Wild, der ehemalige Stadtarchäologe Zürichs. Die Familie ist mit Geldgeschäften reich geworden.
Sie richteten in ihrem Haus einen Festsaal ein und liessen prächtige Wandmalereien anbringen. «Mit diesem Saal und den Malereien leistete sich die jüdische Familie einen Ort, der dieses Verständnis ausdrückt», erklärt Wild, der die Freilegung der Malereien begleitet hat. Er hat ein kleines Museum mitgegründet, das den Festsaal öffentlich zugänglich macht: «Schauplatz Brunngasse».
Die Malereien, entdeckt vor 25 Jahren, gehören zu den historischen Schätzen von Zürich. Sie erhalten auch international viel Beachtung, von Juden und Nichtjuden, Wissenschaftlerinnen und Laien.
Ein neuer Dokumentarfilm von Hildegard Keller wurde über sie gedreht: «Brunngasse 8» nimmt die Geschichte des Hauses an der Brunngasse 8 zum Ausgangspunkt für eine Zeitreise ins jüdische und christliche Mittelalter von Zürich.
Die Wandmalereien der Brunngasse 8
Frau Minne, die Geschäftsfrau
Welche Rolle hatte Frau Minne? Sie hat Geldverleih betrieben, trat als Geschäftsfrau auf. Um den wichtigen Geldverleih mussten sich zu der Zeit Juden kümmern, denn das Geschäft mit Zinsen war Christen verboten.
Bei Frau Minnes Sohn, Moses-ben-Menachem, handelt es sich gemäss der Forschung wahrscheinlich um den berühmten Rabbi Moses von Zürich. Er war Vorsteher einer Talmudschule und Verfasser des «Zürcher Semak», eines wichtigen Kommentars zum Talmud.
Mit dem Morden verschwanden die Schulden
Dann kam die Pest. Und mit ihr die Suche nach Sündenböcken. Mitglieder der jüdischen Gemeinde von Zürich wurden verfolgt, gefoltert und am 23. Februar 1349 auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Die christliche Oberschicht habe direkt von der Judenverfolgung profitiert, erklärt Dölf Wild. Die Schulden, die sie bei den Juden hatten, seien einfach aufgehoben worden. «Das ist mehrfach belegt. Jüdische Häuser wurden enteignet, Schulden gestrichen.»
Puzzleteilchen der Überlieferung
Es wird vermutet, dass einzelne Kinder der Familie von Frau Minne die Verfolgung überlebten und später in Rapperswil wohnten. Eine Urkunde belegt, dass sie auf alle Ansprüche gegenüber der Stadt verzichten mussten. Die Überlieferung enthält bloss Puzzleteilchen, man kenne längst nicht alle Umstände dieser Dramen, betont Wild.
Um 1353 ist wieder eine jüdische Gemeinde in Zürich nachgewiesen. Sie mussten von vorne beginnen.