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Minderjährige Asylsuchende Junge Flüchtlinge in Griechenland: Glück hat, wer im Heim landet

Minderjährige Flüchtlinge haben es in Griechenland schwer: Sie werden ungenügend versorgt und schauen einer ungewissen Zukunft entgegen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Für minderjährige Flüchtlinge gibt es in Griechenland spezielle Heimplätze. Die Umsiedlung dorthin dauert aber lange. Bis dahin ist ihre Unterkunft oft ungeeignet.
  • Manche Minderjährige versuchen, sich auf eigene Faust nach Nordeuropa durchzuschlagen. Einige prostituieren sich oder rutschen ins Drogenmilieu ab.
  • Mehr Unterbringungsplätze für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wären nötig. Ihre Zahl steigt stetig.

Wenn er Tischfussball spielt, vergisst Orasch* seine Sorgen. Die lange Flucht aus Afghanistan, die gefährliche Überfahrt von der Türkei nach Griechenland, die ungewisse Zukunft. Seinen Mitspielern geht es ähnlich, und so ist die Stimmung im Gemeinschaftsraum von Faros laut und ausgelassen.

Im Heim für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Athen leben 22 Jugendliche. Mit seinen 13 Jahren ist Orasch einer der Jüngsten. Nach seinen Problemen befragt, wird der Junge schnell wieder ernst. Er möchte zu seinem Bruder, der bereits in Schweden ist und dort studiert. Doch es gehe nur langsam vorwärts.

Langwieriger Prozess

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind vom EU-Türkei-Abkommen ausgenommen. Erwachsene, die keinen Asylantrag stellen oder die Asylbedingungen nicht erfüllen, werden automatisch in die Türkei zurückgebracht.

Für minderjährige Flüchtlinge gilt das nicht. Auch wenn sie die Asylvoraussetzungen nicht erfüllen, können sie bis zu ihrer Volljährigkeit in Griechenland oder einem anderen EU-Land bleiben.

Die Umsiedlung in andere EU-Staaten läuft zäh, die Bürokratie ist aufwendig und die griechische Verwaltung ausgedünnt. Es dauert im Durchschnitt gut ein Jahr, bis die Weiterreise geregelt ist.

Nicht jeder Minderjährige möchten sich auf diese Prozedur einlassen. Einige verheimlichen ihr wahres Alter und versuchen, sich auf eigene Faust nach Nordeuropa durchzuschlagen.

Drogen und Prostitution

Deshalb gibt es bei Faros auch ein spezielles Programm, in dem Sozialarbeiter auf der Strasse unterwegs sind. Fast täglich finden die Betreuer Jugendliche, die auf der Strasse leben. Manche von ihnen prostituieren sich, um die Weiterreise zu finanzieren.

Vor kurzem veröffentlichte die Harvard-Universität einen Bericht. Darin ist die Rede von einem epidemischen Anstieg sexueller Ausbeutung von Flüchtlingskindern in Griechenland. Deren Hoffnung, über Prostitution die Weiterfahrt zu finanzieren, zerschlägt sich schnell. Anstatt weiterzukommen rutschen sie oft in die Drogenszene ab.

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge spielen Fussball.
Legende: Minderjährige Flüchtlinge sollen ihre Sorgen auch mal vergessen können: Fussballspiel im Heim von Faros. Faros

Ungeeignete Unterkünfte

Aber auch für diejenigen, die den offiziellen Weg gehen wollen, ist es nicht einfach. Jugendgerechte Unterbringungsplätze wie etwa bei Faros sind rar. Die Hälfte der 2200 registrierten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge steht auf einer Warteliste für einen Heimplatz.

In der Zwischenzeit leben die Jugendlichen in speziell ausgebauten Bereichen von Flüchtlingscamps. Nicht wenige warten auch in den Erstaufnahmezentren auf den Inseln, den sogenannten «Hotspots», oder – mangels anderer Möglichkeiten – in Polizeigewahrsam.

Die Lebensumstände gerade auf den Polizeistationen sind denkbar schlecht, zumal die Jugendlichen oft traumatisiert sind. Kürzlich erst haben die Polizeigewerkschaft sowie verschiedene nationale und internationale Organisationen diesen Zustand gegenüber dem griechischen Migrationsminister Giannis Mouzalas kritisiert.

Ein Frau schaut mit einem Jungen ein Schulbuch an.
Legende: Die Warteliste für Heimplätze in Griechenland ist lang. Mancher Jugendliche versucht auf eigene Faust weiterzureisen. Faros

Mehr Plätze nötig

Weitere Unterbringungsplätze für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Griechenland wären nötig. Denn es sieht nicht danach aus, als ob ihre Zahl bald zurückgehen würde. 50 bis 100 werden jeden Monat zwar in andere europäische Länder vermittelt, doch etwa ebenso viele kommen im gleichen Zeitraum neu an.

Der kleine Orasch aus dem Faros-Heim jedenfalls hofft, dass sein Warten bald ein Ende haben wird. Denn seine Zukunftspläne stehen schon. Er möchte Schriftsteller werden, erzählt er. Einer, der traurige Geschichten schreibt. Nur in welcher Sprache, das weiss Orasch noch nicht.

*Name geändert

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 04.09.2017, 09:02 Uhr

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