- In den Konzentrationslagern der Nazis organisierten inhaftierte Kabarettisten Bühnenabende.
- Diesem bisher vernachlässigten Thema widmet sich ein neues italienisches Buch .
- Das Kabarett war erzwungen und diente dem Dritten Reich als Propaganda.
Musizieren im Umfeld des Schreckens
Seit einigen Jahren wird Musik in Konzentrationslagern thematisiert. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Italien. Ein weites und kompliziertes Forschungsfeld, wie der Fall des italienischen Musikwissenschaftlers Francesco Lotoro beweist.
Er recherchiert seit rund zehn Jahren nach Kompositionen aus Konzentrations- und auch Vernichtungslagern. Seine Sammlung dieser Musik umfasst inzwischen hunderte von Liedern und Konzertstücken. Bisher sind rund zwanzig CDs mit dieser Musik erschienen, die Lotoro, selbst Pianist, mit verschiedenen Sängern einspielt.
Lachen unter Extrembedingungen
Das Thema Kabarett dagegen fristete bisher in der Erforschung von NS-Lagern eher ein Randdasein. Vor allem was die geschichtswissenschaftliche Erforschung dieser Kunstform angeht. Dass Kabarett in solchen Lagern existierte, ist seit langem bekannt und es sind auch Hörbücher zum Thema erschienen. Doch wie funktionierte die Kunstform des Kabaretts unter solchen extremen Bedingungen des Lebens und Überlebens?
«Ridere rende liberi», Lachen macht frei – unter diesem provokativen Titel veröffentlichte die italienische Theaterhistorikerin Antonella Ottai ein Buch zu dem Thema. Darin stellt sie zwei KZs gegenüber. Das niederländische Westerbork und Theresienstadt nördlich von Prag. In beiden Lagern fand Kabarett statt, inszenierten Kabarettisten Veranstaltungen.
Kommandant und Kunstförderer
Westerbork wurde von einem Kommandanten geführt, der seit seiner Jugend ein erklärter Fan des Kabaretts war. Als er die Leitung von Westerbork übernahm und feststellte, dass dort zahlreiche Kabarettisten aus dem Gebiet des deutschen Reiches, aber auch aus den eroberten Niederlanden interniert waren, förderte er ihre Kunst.
Sogar Zuschauer von auswärts
Bis auf die Figur des Führers Hitler durften die Kabarettisten in Westerbork fast alles aufs Korn nehmen. Ihre Veranstaltungen waren so berühmt, dass sogar Zuschauer von auswärts, aus umliegenden Städten und Ortschaften, zu den Veranstaltungen ins KZ kamen. Eine Realität, die im gesamten Dritten Reich einmalig war.
Erzwungenes Bühnenprogramm
Auch in Theresienstadt organisierten internierte Kabarettisten Veranstaltungen. Doch es handelte sich um erzwungenes Kabarett. Da das Lager Theresienstadt als Vorzeigeort für internationale Beobachter diente, wie etwa für das Internationale Rote Kreuz, um zu beweisen, wie «gut» Internierte von der SS behandelt wurden, wurde auch eine gewisse Kunst- und Kulturszene geduldet und gefördert.
Während aber die Kabarettisten in Westerbork relativ ungestört und frei ihre Tage verbringen und ihre Kabarettabende organisieren konnten, wurden solche Veranstaltungen in Theresienstadt komplett kontrolliert und zensiert.
Ein bitteres Ende
Doch die relative Bewegungs- und künstlerische Freiheit der Kabarettisten in Westerbork endete jäh. Wie die Künstler in Theresienstadt und allen anderen Lagern wurden auch die Internierten aus Westerbork schliesslich verlegt. Entweder in weitere KZs oder direkt in Vernichtungslager wie Auschwitz. Dort endete die Reise. Zahllose Kabarettisten starben in diesen Lagern.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktuell, 14.02.2017, 06:50 Uhr