In der katholischen deutschen Wochenzeitung «Die Tagespost» hatte der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch aktuelle kirchliche Diskussionen mit solchen aus der NS-Zeit verglichen. Eine Welle der Empörung folgte.
Mittlerweile hat sich der 72-Jährige für seine Äusserungen entschuldigt, hält aber an seiner Kritik am Modernisierungsprozess der Kirche fest. Das Beispiel zeigt: Das konservative Rom habe Angst, sagt Ethikprofessor Daniel Bogner.
SRF: Wie kommt es, dass sich so ein hochrangiger Kirchenmann zu einem Nazivergleich hinreissen lässt?
Daniel Bogner: Es ist ein absurder Vergleich. In der Sache grundfalsch, takt- und gefühllos gegenüber Jüdinnen und Juden sowie gegenüber reformierten Christinnen und Christen.
Kardinal Koch ist als Ökumene-Minister im Vatikan zuständig für die Beziehung zu den anderen Religionen. Diese Äusserung würde man von ihm überhaupt nicht erwarten. Für mich spiegeln sich darin die Ungleichzeitigkeiten in der katholischen Weltkirche wie in einem Brennglas.
Was meinen Sie mit «Ungleichzeitigkeit»?
In der katholischen Kirche existieren ganz unterschiedliche Teilkirchen. In manchen Ländern sind sie gut finanziert und organisatorisch gut aufgestellt, in anderen verfügen sie nur über ganz schwache kirchliche Strukturen.
Kardinal Koch bezeichnet den Zeitgeist per se als etwas Negatives.
Über all dem steht eine römische Zentrale, die mit ihrem Kontrollwahn versucht, die Fäden in den Händen zu behalten. Das tut sie mit einer Theologie, die auf einem Verständnis von katholischer Tradition aus dem 19. Jahrhundert basiert. Doch die katholische Tradition hat sich über 2000 Jahre immer erneuert und entwickelt.
Kardinal Koch kritisiert, dass der Zeitgeist zu viel Gewicht bekomme. Wo liegt das Problem?
Kardinal Koch bezeichnet den Zeitgeist per se als etwas Negatives. Doch der Zeitgeist darf nicht einfach mit Beliebigkeit verwechselt werden. Zeitgeist beinhaltet all das, was in einer gewissen Zeit passiert. Etwa, dass Männer und Frauen gesellschaftlich gleichwertig zu behandeln sind. Dass Kinder Rechte haben oder dass sexuelle Orientierung etwas höchst Persönliches ist, das wir zu respektieren haben.
Die grundsätzliche Ablehnung, die sich in den Äusserungen von Kardinal Koch zeigt, finde ich höchst problematisch. Das ist der Weg von der Kirche in die Irrelevanz und die Bedeutungslosigkeit. Davor würde ich sehr warnen.
Der Umgang mit dem Zeitgeist zeigt die Spannung zwischen konservativen und progressiven Kräften. Sehen Sie Vermittlungsbemühungen zwischen diesen beiden Polen?
Alles, was man momentan in der katholischen Kirche unter dem Stichwort «Synodalität» sehen kann, ist so ein Versuch. Das ist eine grosse Herausforderung, aber es liegt auch eine unglaubliche Chance darin, in dem man jene mitnimmt, die auf die Tradition pochen.
Aber das passiert ja gerade nicht, wenn Kardinal Koch so einen Nazi-Vergleich äussert.
Ja, aber wogegen hat er sich denn gewendet? Er hat den deutschen synodalen Weg kritisiert. In Deutschland sind da alle Bischöfe Mitglieder – und die Konservativen sind so gezwungen, sich einzubringen und Farbe zu bekennen. Es wird jetzt sichtbar, dass eine grosse Mehrheit der Bischöfe für substanzielle Reformen eintritt. Jetzt merkt man in Rom, dass es für den konservativen Flügel gefährlich werden könnte. Es gibt die Chance für wirkliche Veränderungen.
Das Gespräch führte Léa Burger.