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Töpfern im Trend
Aus Kultur Extras vom 31.08.2018.
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Keramik-Boom Töpfern gehört wieder zum guten Ton

Keramik erzielt Spitzenpreise auf Auktionen – Töpfern entwickelt sich zum Hobby für Hipster. Keramiker werden will aber keiner.

Und zum Dritten! Es war Mitte März, als eine alte Vase des britischen Studiotöpfers Hans Coper auf einer Auktion in London für ein mittleres Vermögen den Besitzer wechselte: 381'000 Pfund, Rekord. So viel machten Liebhaber früher vielleicht für eine Vase aus der Ming-Dynastie locker – und hatten selbstverständlich keinen Sprung in der Schüssel.

«Den Boom erlebbar machen»

In Murten wachsen die Preise für Keramik nicht in den Himmel. Noch nicht? Anruf bei Peter Fink, dem Präsidenten des «Keramikpanoramas», das alle zwei Jahre stattfindet. Dieses Wochenende steht die vierte Ausgabe vor der Tür, die man nicht einmal zu öffnen braucht. Keramiker und Kunden treffen sich unter freiem Himmel.

«Wir wollen den Keramik-Boom positiv erlebbar machen», sagt Peter Fink. Genau 100 Aussteller zeigen in Murten ihre Arbeiten. Das Keramikpanorama sieht sich «als Drehscheibe verschiedener Länder und Techniken.» Es werden wieder Tassen und Teekrüge zu sehen sein, Töpfe und Teller und vor allem Vasen: Keramik in der Knautschzone zwischen Kunsthandwerk und Kitschverdacht. Kostengünstig.

Sehnsucht nach dem Unperfekten

Keramik kucken. Keramik kaufen. Komplett ausgebuchte Keramikkurse. «Töpfern ist das neue Yoga», notierte neulich die NZZ. «Getöpfertes hat die feinen Tische und Schaufenster erobert», stand unlängst in der Süddeutschen. «Die wachsende Sehnsucht nach dem Handwerklichen bringt das Unperfekte in Mode», fabulierte der Standard. Halten wir mal fest: Ein 30'000 Jahre altes Kunsthandwerk ist plötzlich cool geworden.

Keramikpanorama Murten

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Am 4. Keramikpanorama Murten (1. und 2. September 2018) stellen 100 Keramiker und Künstler aus. Ausgewählt hat sie eine Fachjury um den Künstler Sandro Godel, die Keramikerin Erika Fankhauser-Schürch und den Designer Dimitri Bähler.

Wie erklärt sich Peter Fink den Trend? «Die Gesellschaft ‹verbüroisiert­› immer mehr.» Wer den lieben langen Tag vor dem Computer sitze, verliere den Kontakt zum Material. «Töpfern», wie Fink viel lieber sagt als «Keramik designen», sei eine kluge Kompensation.

Wer tagsüber die frisch manikürierten Finger auf einer Tastatur spazieren führt, der macht sich abends eben gerne mal die Hände schmutzig.

Töpfern vor Millionen

«Der Ton ist ein Material, das einen buchstäblich auf den Boden bringt», sagt Peter Fink. Viele, die seine Keramikurse besuchen, tun das weniger, weil sie sich für das Objekt interessieren, das sie da herstellen. «Die wollen in einer Materie verschwinden», sagt Fink. «Leute in Keramikkursen wollen die Transformation des Materials erleben.»

Keramikmesse unter freiem Himmel.
Legende: Keramikpanorama Murten – wo die Preise noch nicht in den Himmel wachsen. Keramikpanorama Murten

Ein Ende des Booms scheint nicht abzusehen. Peter Fink erinnert an die BBC-Serie The Great Pottery Throw Down, von der nun offenbar doch eine nächste Staffel geplant sei. Zwei Töpfer, ein Battle, drei Millionen Zuschauer. Fink verweist auf die sozialen Medien, wo Keramiker heute Fangemeinden haben wie weiland die Rockstars. 800'000 Follower, eine Riesensache. Instagram, so Fink, sei eine schier unerschöpfliche Inspirationsquelle.

Aber davon leben?

Keramik mag das Kunsthandwerk der Stunde sein. «Die Schulen merken paradoxerweise wenig davon», sagt Rita De Nigris, Künstlerin und Dozentin an der Fachkeramikklasse an der Schule für Gestaltung in Bern und Biel.

Dabei sei es gerade in diesem Boom um die Keramik umso wichtiger, eine professionelle Ausbildung zu gewährleisten. «Nur so können wir Keramik als Kulturgut erhalten.»

Eine Frau mit weissem Haar und dunkler Brille.
Legende: Schätzt die neue Wertschätzung des Tons: Rita De Nigris, Keramikerin und Dozentin. Rita De Nigris

Die Leute wollen wieder mit den Händen arbeiten, das sagt auch sie. Aber nur zum Ausgleich, zum Zeitvertrieb. Als Hobby, das sie nebenher ein bisschen vermarkten. Weil man ja heute immer gleich alles zeige, was man so mache. Auf die Schülerzahlen habe das keinen Einfluss.

Die Gründe? Es gibt fast keine Lehrstellen mehr. Die meisten Werkstätten sind eingegangen. Die Ausbildung zum Keramiker sei lang, sagt Rita De Nigris, und der Beruf nur für den zu schaffen, der eine gefestigte Persönlichkeit sei. «Man muss eine Idee haben, macht einen ersten Entwurf, muss ihn materialisieren und danach dokumentieren und vermarkten.»

Ein Hauch von Ewigkeit

Und doch sieht Rita De Nigris es gern, das Revival der Keramik. Als ein gesellschaftliches Phänomen. Dass man den Dingen wieder ansehen dürfe, dass sie nicht ganz perfekt seien. Diese neue Wertschätzung des Tons, eines scheinbar minderwertigen Materials, dem eben doch etwas Zeitloses anhafte. Um nicht zu sagen: Ewiges.

Hans Copers fabelhafte Vase übrigens sah im März noch genau so gut aus wie vor gut 40 Jahren, als sie für 250 Pfund über den Ladentisch ging. Eine ältere Dame soll sie in einer Schuhschachtel ins Aktionshaus gebracht haben. Das Ding, ein Geschenk ihres Gatten, hatte ihr einfach nie gefallen.

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