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Streitfrage assistierter Suizid: Seelsorge für Sterbewillige?
Aus Sternstunde Religion vom 01.03.2020.
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Kirche und begleiteter Suizid Dürfen die Kirchen Hand bieten bei der Sterbehilfe?

Dürfen Pfarrpersonen Menschen begleiten, die mit assistiertem Suizid aus dem Leben gehen? Im Einzelfall soll das möglich sein, sagt der reformierte Theologe und frühere Pfarrer Matthias Zeindler.

Matthias Zeindler

Matthias Zeindler

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Matthias Zeindler war lange als Pfarrer in Gerlafingen/SO und Erlach/BE tätig. Heute ist er Bereichsleiter Theologie der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn und Titularprofessor für Theologie an der Universität Bern.

Er hat das 2018 erschiene Positionspapier zu pastoralen Fragen rund um den assistierten Suizid mitverfasst. Er ist ausserdem Mitautor des Buches «Assistierter Suizid und kirchliches Handeln. Fallbeispiele – Kommentare – Reflexionen» (TVZ Zürich 2017).

SRF: Herr Zeindler, begleiten Sie als Pfarrer eine 85-jährige Person, die sich entscheidet, mit Exit aus dem Leben zu gehen?

Matthias Zeindler: Jede Anfrage ist natürlich ein Sonderfall. Im Gespräch mit der Person würde ich zu klären versuchen, ob sie palliative Angebote kennt und ob solche für sie in Frage kommen.

Wenn jemand keine andere Möglichkeit sieht, das Leiden unzumutbar ist und ausgeschlossen werden kann, dass ich als Seelsorger instrumentalisiert werde, dann würde ich diesen Menschen bis zum Ende begleiten.

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Du darfst – selbstbestimmtes Sterben mit Gottes Segen
aus Perspektiven vom 29.02.2020. Bild: SRF / Sébastien Thibault
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Wie oft werden Pfarrpersonen mit Anfragen konfrontiert?

Wir haben zahlenmässig keine belastbaren Statistiken wie bei Taufen und Abdankungen. Solche Anfragen spielen sich im Schutzraum der Seelsorge ab. Aber von PfarrkollegInnen höre ich, dass die Anfragen zugenommen haben.

Rechtslage assistierter Suizid in der Schweiz

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In der Schweiz ist der assistierte Suizid mit einer Sterbehilfeorganisation (SOH) gesetzlich nicht im Detail geregelt. Mehrere solche Organisationen leisten Hilfestellungen bei einem begleiteten Suizid am Lebensende.

Es gibt aber Einschränkungen: Laut Strafrecht dürfen keine selbstsüchtigen Motive seitens der Sterbebegleitung im Spiel sein, und die sterbewillige Person muss das tödliche Mittel selber einnehmen. Das Mittel – meist Natrium-Pentobarbital – kann nur von Ärzten verschrieben werden.

Umstritten ist, ob die SOH auch Freitodbegleitungen für hochaltrige, nicht terminal kranke Menschen, für Menschen mit Depressionen und anderen psychischen Leiden sowie für demenzkranke Menschen anbieten dürfen.

Wird den Menschen nach einem assistierten Suizid eine kirchliche Abdankung gewährt?

Ja. Für mich gibt es weder theologische noch seelsorgerische Gründe, dies abzulehnen. Es geht darum, die Angehörigen nach dem Abschied zu begleiten. Sie befinden sich oft in einer schwierigen Situation.

Soll bei der Abdankung die Art des Sterbens thematisiert werden?

In der Regel halte ich eine respektvolle Transparenz für den besten Weg. Die Leute erfahren es sowieso. Und man kann auf diese Weise zeigen, dass Menschen ihre Würde trotz aller Brüche nicht verlieren. Wir sprechen von einem Gott, der die Menschen nicht verurteilt, sondern trägt.

Wie sehen Sie die Gefahr des Nachahmer-Effekts?

Das ist tatsächlich ein Dilemma. Es gibt die Gefahr, dass sich der assistierte Suizid normalisiert. Die Spannung zwischen dem klaren Ja zum Leben und der Begleitung suizidwilliger Menschen lässt sich nicht auflösen.

Es darf keinen Zwang zur Begleitung geben, hier muss die Freiheit des Gewissens respektiert werden.

Die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn finden die solidarische Begleitung wichtiger, auch wenn dies missverständliche Signale aussenden kann.

Aber wer Betroffene nicht begleitet, sendet auch ein problematisches Signal: dass die Kirche diese Menschen in der Todesstunde allein lässt.

Und wenn eine Pfarrperson das nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren kann?

Es darf keinen Zwang zur Begleitung geben, hier muss die Freiheit des Gewissens respektiert werden. In einem solchen Fall soll eine andere Pfarrperson einspringen.

Schweizerische Bischofskonferenz zum assistierten Suizid

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Die Schweizer Bischofskonferenz hat kürzlich eine Orientierungshilfe für die Seelsorge publiziert. Darin wird der assistierte Suizid als «schlechte Tat» bezeichnet.

Für römisch-katholische Pfarrer soll die Seelsorge vor dem Sterbezimmer enden: Sie sollen den Raum im Moment des Sterbens physisch verlassen.

Dennoch würden sie in Gedanken beim Sterbenden bleiben und diesen nicht allein lassen. Damit entscheidet sich die Bischofskonferenz für einen anderen Weg als die reformierten Kirchen.

Es gibt die Kritik, dass sich die Kirchen zu Komplizen der Sterbehilfeorganisationen machen. Was antworten Sie?

Wir möchten zeigen, dass es immer um den Einzelfall geht, um das Mitgehen mit einem Individuum. Das bedeutet nicht, dass wir vorbehaltlos akzeptieren, was Exit macht.

Unsere Haltung kann missverständlich sein. Wenn wir aber dem seelsorgerlichen Auftrag treu bleiben wollen, müssen wir dieses Risiko eingehen.

Was sagen Sie zur Kritik, dass die Kirchen Gefahr laufen, dem Zeitgeist zu folgen?

Wer weiss denn, wer oder was der «Zeitgeist» ist? Immerhin leben wir in einer pluralistischen Gesellschaft. Wir sind als Kirche für die Gesellschaft und für die Menschen von heute da. Wenn sich Haltungen verändern, können wir nicht anders, als uns darauf einzustellen – wenn auch nie unkritisch.

Ausserdem hat der Wunsch nach assistiertem Suizid auch mit medizinischen Entwicklungen zu tun, welche die Grenze des Lebens immer weiter hinauszuschieben. Wir kommen nicht darum herum, uns der Diskussion zu stellen.

Das Gespräch führte Christa Miranda.

Sendung: SRF 1, Sternstunde Religion, 1.3.20, 10:00Uhr

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