Diese Köchin ist im Moment in aller Munde: Samin Nosrat stand mit ihrem Kochbuch «Salz. Fett. Säure. Hitze.» in den USA sechs Wochen zuoberst auf der Sachbuch-Bestsellerliste. Namhafte Medien schreiben über sie und sie wurde mit dem James-Beard-Award, dem Oscar der Kochwelt ausgezeichnet.
Keine Haube, grosser Hype
Auch die deutsche Übersetzung musste kurz nach Erscheinen nachgedruckt werden. Obwohl es Nosrats erstes Buch ist – und sie weder prominent noch Sterneköchin ist.
Bei diesem Erfolg biss selbst Netflix an. Für eine vierteilige Doku begibt sich Nosrat rund um die Welt auf die Spuren ihres eigenen Mottos: Salz, Fett, Säure, Hitze – wer diese vier Grundpfeiler verstehe, beherrsche das Kochen.
Geheime Küchencodes
Diese vier Elemente seien der Notenschlüssel, der am Kochherd die Musik macht, schreibt Nosrat, egal ob in der Spitzenküche oder zu Hause. «Jeder schafft es, alles zu kochen und zwar so, dass es köstlich schmeckt», verspricht sie im ersten Satz ihres Buches.
Was folgt, sind vier Kapitel, in der die Köchin diese «Geheimcodes» aufschlüsselt «wie die Punkte auf einem Kompass»: Wie und wozu man Lebensmittel salzt. Welche Art von Fett und Säure man dazugibt, um Aromen zu verstärken oder auszubalancieren. Und wie man Hitze einsetzt, um eine Speise mit richtiger Textur und Biss zuzubereiten.
Rezepte bestimmen die zweiten Hälfte des 500-seitigen Buches, als Kochlektionen.
«Wenig Neues»
Das Buch hat keinen Hochglanz, kein Angebergericht. Dafür einen Baukasten, der einleuchtend einfach daherkommt, mit Anekdoten der Autorin gespickt und kindlichen Illustrationen verziert.
Klingt bekannt? Es ist das «Jeder schafft es»-Prinzip, das Jamie Oliver mit seinen Kochshows und -büchern prägte. Dieser habe viele Nachahmer auf den Plan gerufen, sagt der Sensoriker und Foodjournalist Patrick Zbinden.
Wie Jamie Oliver kocht Samin Nosrat mit Zutaten aus jedermanns Kühlschrank statt aus dem hintersten Winkel von Delikatessenabteilungen. Wie der Brite bricht sie das Handwerk von High-End-Köchen für die Durchschnittsküche herunter.
Inhaltlich sei daran nichts grundlegend neu, sagt Patrick Zbinden: «Nosrat versammelt bloss Wissen, das schon lange existiert.»
Natürlich sei es sinnvoll, eher an das Grundgerüst von Rezepten zu denken. «Was aber fehlt, ist das ‹Fine Tuning›. Etwa das Wissen, welches Aroma sich nun mit welchem kombinieren lässt.»
Die Seele isst mit
Trotzdem passt «Salz. Fett. Säure. Hitze.» gut zum Zeitgeist: Einerseits zu einer neuen Vorstellung von Luxus, die sich laut Zbinden nicht mehr über Kaviar oder Hummer definiert, sondern über rare Naturprodukte und vermeintlich schlichte Zutaten.
Andererseits auch zum Trend, entlang wissenschaftlicher Erkenntnisse zu erkunden, was uns schmeckt. In diesem Bereich gebe es allerdings bereits bessere Bücher, etwa des Physikers Thomas Vilgis, so Patrick Zbinden.
Nosrat verfolgt in ihrem Buch und medial eine andere Strategie: Sie lädt Essen emotional auf und lässt hohe Kochkunst nahbar wirken.
Birkenstocks und Overall
Dass es Samin Nosrat gelingt, damit zu punkten, obwohl sie kaum Neues erfindet, liegt wohl vor allem an ihrer Persönlichkeit.
In der Kochwelt fällt sie auf: als Frau mit Migrationshintergrund, als berufliche Aufsteigerin und als «liebenswürdige, unperfekte Person, die Birkenstocks und Overalls trägt, in einem chaotischen Haus lebt, deren Küche nicht immer sauber ist», wie die Regisseurin der Netflix-Serie einmal zusammenfasste.
Wenn Nosrat sich für diese in Japan (Salz), Italien (Fett), Mexico (Säure) und Kalifornien (Hitze) auf die Spuren ihrer Grundzutaten begibt, trifft sie keine Starköche. Sondern italienische Nonnas und mexikanische Grillmeister, auffällig viele Frauen, auffällig viele Nicht-Weisse.
Emotionales Esserlebnis
Nosrat, so wirkt es, hat Bodenhaftung, hebt aber beim Essen gerne ab. Als sie in einer italienischen Fabrik Parmesan verkostet, weint sie: So gut schmeckt ihr dieser Käse. «Ich bin verliebt», sagt sie in einer anderen Szene, bevor sie auf dem Markt in ein Panino beisst.
Man glaubt Nosrat jede Träne und jedes Wort. Lässt sich von ihr gerne zu einer emotionalen Achterbahnfahrt namens Essen einladen. Und kommt auf den Geschmack, sich für diese kinderleichten, komplexen Kunst des Kochens einen Kompass zuzulegen.