Zum Inhalt springen

Konversation und Krise Die Gesprächsklimaretter

Wir alle wüssten, wie wir das Klima schonen könnten – und tun es doch nicht. Die «Klimagespräche» wollen das ändern.

Die Stimmung ist aufgeräumt und fröhlich an diesem Montagabend im Zürcher Industriequartier. Zum ersten Mal seit Wochen treffen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Klimagespräche persönlich, zuvor waren Meetings per Videochat angesagt.

Die Gruppe ist bunt gemischt, von zwei Studentinnen bis zur Seniorin, die Frauen in der Überzahl. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich bei den Klimagesprächen angemeldet, um zu erfahren, wie sie in ihrem Alltag klimafreundlicher leben und mit gutem Beispiel vorangehen können.

Klimagespräche

Box aufklappen Box zuklappen

Die Klimagespräche entstanden vor zehn Jahren in Grossbritannien, erfunden von der Psychotherapeutin Rosemary Randall und dem Ingenieur Andy Brown. Vor drei Jahren wurde die Idee in der Westschweiz von der Organisation «Artisans de la Transition» aufgegriffen – und dieses Jahr werden die Klimagespräche nun zum ersten Mal in der Deutschschweiz angeboten. Organisiert werden sie von den beiden christlichen Hilfswerken Brot für alle und Fastenopfer.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bezahlen 60 Franken, der Rest wird durch Spenden finanziert. Die Gesprächsleitung ist Freiwilligenarbeit. Teilnehmerinnen und Teilnehmer können sich in einem zweiten Schritt zu Gesprächsleitern ausbilden lassen.

Selber überrascht über die Vorsätze

An sechs Abenden haben sie Themen besprochen wie Mobilität, Ernährung, Abfall und Wasserverbrauch. Dazu haben sie ein Heft voller Informationen durchgearbeitet und ihr eigenes Verhalten analysiert. Etwa, indem sie in eine Tabelle eintrugen, was sie alles einkaufen und verbrauchen.

Menschen in einer Runde
Legende: Die Klimagespräche leben davon, dass sie geteilt und weiterverbreitet werden. Silvan Hohl

Nun sollen alle drei Vorsätze notieren, was sie in ihrem Leben verändern wollen. Pensionärin Suzi ist selbst ganz überrascht, was sie sich vorgenommen hat: «Bei mir hat’s geschrieben: Einen Tag pro Woche vegan essen. Es hat’s geschrieben, also werde ich’s machen.»

Weniger Fleisch und Milchprodukte essen steht auf vielen Zetteln, dazu weniger Tiefkühlprodukte kaufen, weniger tumblern, weniger googlen, die Elektrogeräte ausschalten, mit dem Vermieter über die Heizung sprechen.

Opfer bringen

Bei vielem, was auf den Post-it-Zetteln steht, wussten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer schon vorher, dass es klimaschädlich ist. Trotzdem haben sie sich erst jetzt vorgenommen, etwas zu ändern.

Das sei typisch, sagt Simon Degelo, einer der Gesprächsleiter an diesem Abend: «Wir wissen, was wir tun müssten, aber es fällt uns schwer, das Wissen mit uns selber zu verbinden.»

Die Gespräche in der Gruppe sollen helfen zu reflektieren, weshalb es schwerfällt, das eigene Verhalten anzupassen. «Den eigenen ökologischen Fussabdruck zu verringern ist oft mit Verzicht verbunden. Dieser Verzicht schmerzt», ergänzt Co-Gesprächsleiter Stefan Salzmann. Sich dessen bewusst zu werden, sei der erste Schritt zur Veränderung.

Der Corona-Stillstand als Vorbild

Klimafreundlicher Leben bedeutet auch, Opfer zu bringen: Darüber diskutiert die Gruppe auch an diesem, letzten Abend der Klimagespräche in Zürich.

Der Stillstand des öffentlichen Lebens in den letzten Wochen habe gezeigt, was es heisse, den Energieverbrauch wirklich zu reduzieren, sagt Annina: «Und ich muss Euch ehrlich sagen, ich habe es satt, immer nur auf den Üetliberg zu wandern.» Sie sehne sich nach Ausflügen in die Berge.

Ihre Stelle in Basel aufzugeben, um weniger zu pendeln, dazu sei sie nicht bereit. Ruedi ergänzt, individuelle Opfer seien ja schön und gut, fragt sich aber: «Würden wir nicht besser die Rahmenbedingungen verändern?»

Was bringt der individuelle Einsatz?

Die Gruppe ist damit an einem zentralen Punkt der Klimadebatte angelangt: Was bringen kleine, individuelle Veränderungen im Alltag, wenn die Strukturen gleich bleiben? Können einzelne Menschen etwas bewirken im Klimawandel?

«Unbedingt», finden die Gesprächsleiter. «Solange wir Schweizerinnen und Schweizer dermassen viel Energie verbrauchen, können wir auch individuell Energie sparen», sagt Stefan Salzmann.

Simon Degelo ergänzt: «Veränderungen in der Politik gehen lange. Wir aber können sofort etwas verändern und damit auch zeigen, dass es möglich ist, anders zu leben.»

Den Druck aufrecht erhalten

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Klimagespräche ziehen ein positives Fazit. Mit ihren Vorsätzen wollen sie ernst machen.

Sie haben beschlossen, sich einem Jahr wiederzutreffen, um sich über ihre Erfahrungen auszutauschen – und den Druck aufrecht zu verhalten, die Vorsätze auch tatsächlich umzusetzen.

Radio SRF 2 Kultur, Perspektiven, 21.6.2020, 8:30 Uhr

Meistgelesene Artikel