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Konversion zum Judentum Theologin: «Im Judentum fand ich einen Weg, um Gott nahe zu sein»

Im Normalfall wird das Jüdisch-Sein von der Mutter auf ihre Kinder übertragen. Missioniert wird nicht. Gleichwohl konvertieren immer wieder Menschen zum Judentum. Auch die evangelische Theologin Edith Barth ist soeben Jüdin geworden. Ein Gespräch über Hintergründe und Hürden, Prüfungen und Tauchbäder.

Edith Barth

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Edith Barth hat reformierte Theologie studiert. Sie ist Mitbegründerin und Geschäftsführerin der Jüdisch-Christlichen Akademie und arbeitet beim Basler Missionswerk Mission 21 in der Stabsstelle Frauen und Gender. Sie hat kürzlich zum Judentum konvertiert und ist seit November 2020 Mitglied des Israelitischen Gemeindebundes Basel (IGB).

SRF: Warum haben Sie konvertiert?

Edith Barth: Ich wurde evangelisch-reformiert erzogen und habe Theologie studiert. Im Judentum fand ich einen spirituellen Weg, um Gott nahe zu sein. Ich begann mich vor vielen Jahren zu interessieren. Richtig gestartet hat der Konversionsprozess vor einem Jahr.

Sie sind seit Ende November Mitglied der jüdischen Gemeinde in Basel. Wie haben Sie das Judentum kennengelernt?

Mein verstorbener Ehemann stammt aus einer Theologenfamilie, er war der Enkel vom Theologen Karl Barth. Er stand dem Judentum sehr nahe, hat aber nie konvertiert. Seine Begeisterung war ansteckend.

Konversion zum Judentum

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Auch ohne Missionierung konvertieren jährlich weltweit mehrere Tausend Menschen zum Judentum. Gemäss Noam Hertig, Rabbiner der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ), dauert ein Konversionsprozess mindestens ein Jahr. Er entwickle sich sowohl auf emotional-spiritueller wie auf Ebene des Lernens: Es seien Kenntnisse des jüdischen Glaubens, der Gebete, der religiösen Gesetze, Speisegebote usw. notwendig.

Ein wichtiger Aspekt sei die soziale Integration in die Gemeinde. Es brauche einen ernsthaften Wunsch, eine tiefe innere Motivation. Das Konversionsgesuch allein damit zu begründen, dass der Partner jüdisch ist, sei nicht ausreichend. Zu den Aufnahmebedingungen gehöre etwa der wöchentliche Besuch der Synagoge, die Begehung des Sabbats und der Feiertage, die Einhaltung der Speiseregeln.

Ein Gremium aus drei Rabbinern prüft und entscheidet über jedes Beitrittsgesuch. Das Thema sei innerjüdisch umstritten, sagt Rabbiner Hertig. Die einen forderten strengere Aufnahmekriterien, die anderen weniger strenge. Er müsse immer wieder Beitrittswünsche ablehnen, da einige Beitrittswillige die Kriterien nicht erfüllten. Ausserdem sei die Kapazität seiner Gemeinde, Konversionen durchzuführen und zu begleiten, begrenzt. Nach erfolgreichem Abschluss der Konversion gilt der/die Übergetretene als vollwertiges Mitglied der jüdischen Gemeinschaft.

Bei der Konversion zum Christentum steht die Taufe im Zentrum, bei der Konversion zum Islam die Shahada – das islamische Glaubensbekenntnis. Wie lief der Prozess bei Ihnen?

Im Mittelpunkt standen die jüdischen Alltagsregeln. Ich musste all die Rituale und Gebote lernen. Zu den Gebeten und der Thora-Lektüre fand ich den Zugang leichter, da ich Kenntnisse über das Alte Testament und das Althebräisch mitbrachte.

Am Ende des Prozesses stand ein Interview mit dem Rabbinergericht und ein rituelles Tauchbad in der Mikwe. Damit gelobt man, die jüdischen Gesetze und Traditionen ein Leben lang einzuhalten.

Was mussten Sie sonst noch lernen?

Viele Gebete und wunderbare Segenssprüche, etwa vor und nach dem Essen. Das sind keine leeren Rituale, sondern kleine Zeichen der Verbundenheit mit Gott.

Ich habe einen Online-Kurs besucht für die Sabbat-Regeln. Man muss etwa zehn Bücher gelesen haben über den jüdischen Alltag und die Traditionen, über die religiösen Gesetze.

Wer hat Sie dabei begleitet?

Der Online-Kurs wurde von einem Rabbiner geleitet. Ich ging regelmässig in die Shiurim bei unserem Rabbiner, eine Art Lehrstunde. Wichtig war es für mich zudem, eine jüdische Frau als Ansprechperson zu haben, um meine Fragen zu klären.

Man muss etwas mehr wissen als mancher Durchschnittsjude.

Also hatten Sie als Theologin einen Vorteil?

Das Theologiestudium hat mich eigentlich zur Konversion gebracht. Mir wurde dort klar, wie viel Menschenwerk und Machtpolitik hinter diesen Dogmen stehen.

Machtfragen gibt es zwar auch im Judentum. Aber der Glaube an Jesus als einzige Offenbarung und als Sohn Gottes ist mir während des Theologiestudiums abhandengekommen.

Andere sehen im Christentum die Symbolkraft und die Befreiungsbotschaft. Ich möchte das nicht beurteilen. Es ist einfach mein Weg.

Wie muss man sich das Rabbinergericht vorstellen?

Das Gericht ist eine Art religiöse Autorität der jüdischen Gesellschaft. Es besteht aus drei Rabbinern und regelt die Angelegenheiten der orthodoxen Gemeinden, etwa bei Scheidungen oder eben Übertritten in der Schweiz.

Die Fragestunde vor diesem Gericht ist eine Art Prüfung. Man muss etwas mehr wissen als mancher Durchschnittsjude.

Wie erging es Ihnen bei dieser Prüfung?

Ich war sehr nervös und wenig souverän. Viele Antworten sind mir erst im Nachhinein eingefallen. Doch dann, beim rituellen Bad in der Mikwe, wurde ich so liebevoll eingeführt, dass alles von mir abfiel.

Die soziale Integration ist im Judentum ein heikler Vorgang.

Wie war das für Sie emotional, das Christentum aufzugeben und jüdisch zu werden?

Der Entschluss zur Konversion ist langsam gereift. Ich möchte das Christentum nicht abwerten, finde die Kirchen gut und wichtig. Ich hatte mich zuvor in der Kirche engagiert, war in der Synode.

Aber für mich zeigte sich: Die Wurzeln dessen, was Jesus gemeint hat, finden sich in der Torah und bei den Propheten. Dort fühle ich mich zu Hause. Es war eine emotionale und eine intellektuelle Entscheidung.

Wie wurden Sie in der Gemeinde aufgenommen?

Die soziale Integration ist im Judentum ein heikler Vorgang. Das hat mit der Geschichte des Judentums zu tun. Man spürt die Wunden der Verfolgung bis heute.

Sie zeigen sich in einer grossen Vorsicht gegenüber Menschen «von aussen». Ich spüre eine gewisse Zurückhaltung, auch wenn ich offiziell dazu gehöre und mitreden kann. Aber es braucht Zeit.

Wird ein Unterschied gemacht zwischen Jüdinnen und Juden, die in eine jüdische Familie geboren werden, und solchen, die konvertieren?

Es gibt eine schöne Regel: Wenn jemand konvertiert ist, sollte der Unterschied nicht mehr betont werden.

Das Gespräch führte Christa Miranda.

Sendung: SRF 1, Sternstunde Religion, 03.01.2021, 10:00 Uhr;

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