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Menschen stehen an einer Schiffsreling und winken.
Legende: Spass und ein «permanentes Urlaubsfeeling» prägen viele Kreuzfahrten. Ein Grund für viele Straftaten. Reuters

Kriminalität auf Kreuzfahrten «Mord an Bord ist schlecht fürs Geschäft»

Auf hoher See geschehen unzählige Verbrechen. Aufgeklärt würden sie oft nicht, sagt der Experte Wolfgang Gregor.

SRF: Herr Gregor, jedes Jahr verschwinden rund 20 Passagiere spurlos von Kreuzfahrtschiffen. Sie gingen wahrscheinlich über Bord. Handelt es sich um Gewaltverbrechen?

Zur Person

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Wolfgang Gregor fuhr bis zu seinem 30. Lebensjahr als nautischer Schiffsoffizier und Kapitän selbst zur See und wechselte danach in die Industrie. Heute ist er freier Journalist und beschäftigt sich mit der Kreuzfahrtindustrie. 2015 veröffentlichte er das Buch «Der Kreuzfahrtkomplex – Traumschiff oder Alptraum».

Wolfgang Gregor: Es gibt einige Gründe, warum Menschen über Bord gehen. Es gibt alkoholisierte Passagiere, die übermütige Akrobatik an der Reling machen. Es gibt Suizide. Und dann gib es Gewalttaten oder Mord.

Ein Kriminologe der Uni Köln bestätigte mir, dass Menschen eher bereit sind, einen Mord zu begehen, wenn sie wissen, dass sie sich der Leiche entledigen können. Und oft suchen die Reedereien nur unzureichend, wenn ein Mensch über Bord geht.

Was sind denn typische Verbrechen auf Kreuzfahrtschiffen?

Vor allem Sexualdelikte, Schlägereien, Rauschgifthandel und Schwerverbrechen wie Mord oder Totschlag.

Alkohol ist ein wesentlicher Bestandteil von Kreuzfahrten, denn er bringt Geld.

Der kanadische Soziologe Ross Klein hat bereits 2007 bewiesen, dass die Kriminalität auf Kreuzfahrtschiffen prozentual höher ist als an Land. Haben Sie eine Erklärung?

Oft ist es Alkohol und das permanente «Bacardi-Urlaubsfeeling». Ich habe mittlerweile 17 Kreuzfahrten mitgemacht und häufiger Aggressionen erlebt – meistens war Alkohol mit im Spiel. Auf vielen Kreuzfahrten ist er ein wesentlicher Bestandteil. Alle Reedereien leben vom Alkoholumsatz, denn der bringt Geld.

Staatliche Institutionen wie die Polizei gibt es nicht an Bord. Was passiert beispielsweise bei einer Vergewaltigung?

Wenn es sich um ein Crew-Mitglied handelt, wird das gerne kaschiert. Es kann passieren, dass noch nicht einmal der Kapitän informiert wird, obwohl er es erfahren müsste.

Die Frau bekommt etwas Geld und wird nachhause geschickt.

Ein Beispiel, das mir bei meinen Recherchen untergekommen ist: Ein männliches Crew-Mitglied belästigt ein weibliches sexuell. Das Ganze dringt nicht weiter als bis zum Personalchef und endet damit, dass die Frau etwas Geld bekommt und nachhause geschickt wird. Vorher unterschreibt sie aber, dass damit alles abgedeckt ist und es sich wohl um ein Versehen handelte. Der Mann wird im nächsten Hafen von Bord geschmissen.

Egal, wer von beiden nun Recht hatte: Irgendjemand hat «Recht» gesprochen und das Problem im besten Sinne für die Reederei beseitigt, die das Image vom Traumurlaub nicht beschädigen will.

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Und wenn sich ein Passagier strafbar macht?

Der Kapitän hat die Hoheit an Bord und kann jemanden festsetzen. Dafür gibt es Handschellen und eine Arrestzelle. Die Frage ist aber, darf er das? Nehmen Sie doch mal die Vergewaltigung. Wenn Aussage gegen Aussage steht: Darf der Kapitän dann jemanden dingfest machen? Was an Bord fehlt, ist eine starke neutrale Exekutive.

Wie problematisch das ist, zeigt der Fall eines Ehepaares, das 2015 tot in seiner Kabine entdeckt worden war. Es muss sehr blutig gewesen sein. Und was passierte? Das Blut vor der Tür wurde weggeputzt, es gab keine Tatortsicherung und die Kabine wurde von unzähligen Menschen betreten, bevor sie dann endlich versiegelt wurde.

Die Reederei sprach sofort von Selbstmord, dabei gab es weder Polizisten noch Forensiker an Bord.

Die Reederei hat sofort verlauten lassen, es handele sich um Selbstmord, noch bevor das Schiff im nächsten Hafen war. Dabei gab es weder Polizisten noch Forensiker an Bord, wer also hatte die Kompetenz zu urteilen, ob es eine Straftat oder ein Selbstmord war?

Solche Vorfälle werden publik gemacht, in Zeitungen oder Kreuzfahrt-Blogs ist darüber zu lesen. Wieso werden Kapitän und Reederei nicht zur Rechenschaft gezogen?

Welcher Staat soll das machen? Auf Kreuzfahrtschiffen gilt das Strafrecht des Landes, unter dessen Flagge das Schiff segelt. Häufig sind das Panama, die Bahamas oder Bermuda, weil die Kreuzfahrt-Gesellschaften dort wenig Steuern und Niedriglöhne zahlen können. Wenn ein Schiff unter panamaischer Flagge fährt, müsste also im nächsten Hafen ein Kriminalbeamter Panamas an Bord kommen, um das Ganze aufzuklären. Das ist utopisch.

Das Kreuzfahrtschiff «Harmony of the seas»
Legende: Das grösste Kreuzfahrtschiff der Welt: Die «Harmony of the Seas» fasst bis zu 6300 Passagiere. Imago

Wie reagieren die Kreuzfahrtgesellschaften auf dieses Problem?

Schweigen, schweigen, schweigen. Mord oder Vergewaltigung an Bord sind schlecht fürs Geschäft, weshalb niemand proaktiv und offen damit umgeht.

Gleichzeitig muss ich betonen: Es ja nicht so, dass es gefährlich wäre, eine Kreuzfahrt zu machen. Das ist es in der Regel nicht. Die Frage ist nur, welche Rechte habe ich, wenn etwas passiert.

Die Kreuzfahrtschiffe werden immer grösser. Letztes Jahr waren weltweit rund 24 Millionen Passagiere unterwegs, da besteht ein gewisser Handlungsdruck. Ist Änderung in Sicht?

Die Amerikaner sind da Vorreiter. Der ehemalige Präsident Obama hat 2010 den «Cruise Vessel Security and Safety Act» verabschiedet. Seitdem müssen alle Straftaten innerhalb von 12 Stunden gemeldet werden, die in amerikanischen Gewässern oder unter amerikanischer Flagge begangen werden, oder in die Amerikaner involviert sind. Das wirkt sicher abschreckend.

Die Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs, EMSA, plant meiner Kenntnis nach noch nichts dergleichen.

Sollte hier also – nach amerikanischem Vorbild – der Staat einschreiten?

Wenn der Schwefel-Ausstoss bei der Kreuzfahrtschifffahrt geregelt werden kann, warum dann nicht auch die Rechte für Passagiere? Es braucht Vorschriften, wie mit Straftaten umgegangen wird, die im europäischen Raum passieren oder in die europäische Passagiere involviert sind. Wir sollten das mindestens so gut wie die Amerikaner tun, wenn nicht sogar besser.

Das Gespräch führte Corinna Daus.

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