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Kritik am Kinderwunsch Auf Kinder verzichten, um die Welt zu retten?

Wir sollten keine Kinder zur Welt bringen. Das sei unmoralisch, sagen AntinatalistInnen. Drei Argumente, drei Antworten.

These 1: Keine Kinder für das Klima

Ein erstes Argument ist motiviert durch die aktuelle Klimasituation. Denn: Jedes Kind verursacht eine zusätzliche CO2-Belastung für den Planeten. 58.6 Tonnen ist die Zahl, die in diesem Zusammenhang immer wieder genannt wird. So viel CO2 spare man pro Jahr ein, wenn man ein Kind weniger habe, besagt eine Studie.

Zum Vergleich: Isst man ein Jahr lang kein Fleisch, spart man ungefähr 0.8 Tonnen CO2 ein. Wer also effizient das Klima retten will, so lautet ein Argument der Antinatalisten, sollte kinderlos bleiben.

Kinder seien in Zeiten des Klimawandels keine reine Privatsache. Davon ist Stefan Riedener, Ethiker an der Universität Zürich, überzeugt. «Kinder zu bekommen hat heutzutage Konsequenzen für andere Menschen. Für diese muss man Verantwortung übernehmen», meint er.

«Klimaschonende Werte vermitteln»

Allerdings folge aus dem Umstand, dass wir Sorge zum Klima tragen sollten, mitnichten, dass wir alle kinderlos bleiben müssen. Letztlich, so Riedener, müsse es darum gehen, künftigen Generationen eine klimaschonende Lebensweise zu ermöglichen und die entsprechenden Werte zu vermitteln.

Dem pflichtet auch Catherine Newmark, Philosophin und Kulturjournalistin, bei: «Argumentiert man, dass man aus Klimaschutzgründen keine Kinder mehr haben darf, geht man davon aus, dass das Klima um seiner selbst Willen geschützt werden muss. Aber wir schützen das Klima für uns und damit wir gut auf der Erde leben können.»

These 2: Das Leben als Verlustgeschäft

Ein zweites Argument hat kürzlich mit dem Inder Raphael Samuel an Prominenz gewonnen. Er will seine Eltern verklagen, weil sie ihn geboren und somit zu lebenslangem Leiden verurteilt hätten.

Zu den Vertretern solcher moraltheoretischer Argumente gegen das Kinderkriegen gehört auch Christoph Fehige. Er ist Professor für praktische Philosophie an der Universität des Saarlandes. Für ihn ist klar: «Die Existenz ist ein Spiel, das wir nicht gewinnen können.»

So bestehe ein Leben moralisch betrachtet aus einem Bündel unterschiedlicher Wünsche. Ein neu entstehender Wunsch, der erfüllt werde, mache das Leben nicht besser. Ein neu entstehender Wunsch, der unerfüllt bleibe, mache es aber schlechter.

Neue Wesen können daher, so Fehige, in ihrem Leben sozusagen nicht in die schwarzen Zahlen kommen. Das spreche dagegen, sie in die Welt zu setzen.

«Schwieriges und Schönes gehören zusammen»

Für Newmark stellt sich die moralische Bewertung eines Lebens anders dar: Das Gute und das Schlechte in einem Leben könne nicht gemessen werden an einem simplen Positiv-Negativ-Schema. «Denn in einem Lebensablauf gehören Schwieriges und Schönes zusammen. Wenn man auf sein Leben zurückschaut, ist beides wichtig.»

Auch Riedener findet die Position problematisch: «Die meisten Menschen wären schwer betroffen, wenn sie hörten, dass sie in einem Monat sterben werden. Weil sie gerne am Leben sind – und dieses ihnen wertvoll scheint.»

These 3: Eine Feministin hat keine Kinder

Gegen das Kinderkriegen kann man sich nicht nur aus klimaethischen oder moralphilosophischen Überlegungen stellen. So weigern sich heute auch manche Feministinnen explizit, Kinder zu bekommen, da Kinder Frauen oft in ein Abhängigkeitsverhältnis drängen würden.

Verena Brunschweiger, die mit ihrem Manifest «Kinderfrei statt kinderlos» jüngst Furore gemacht hat, ist hierfür ein bekanntes Beispiel. Ist es also unfeministisch, Kinder zu haben?

«Feminismus schliesst Kinderkriegen nicht aus»

Kinder, so stimmt Catherine Newmark zu, würden häufig zu einer Re-Traditionalisierung der Familie führen: Der Mann geht arbeiten, die Frau schaut daheim zum Nachwuchs. Aber: «Wir sind wahrscheinlich die erste Generation, die das Gefühl hat, dass es möglich sein müsste, Selbstbestimmtheit und Kinder zu vereinen.»

Somit, meint Riedener, sollten wir als Gesellschaft darum bemüht sein, dass Mutterschaft nicht Unfreiheit bedeute: «An diesem Bemühen können Frauen sich in beiden Rollen legitim und effektiv beteiligen: als Kinderlose oder als Mütter. Feminismus schliesst Kinderkriegen nicht aus.»

Ob antinatalistische Gedanken irgendwann Fuss fassen in der Gesellschaft, wird sich zeigen. Die tendenziell wieder steigende Geburtenrate in der Schweiz scheint aber zumindest hierzulande eher dagegen zu sprechen.

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