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Künstler in Algerien Der freie Geist auf Algeriens Strassen

Auf dem Weg zur Demokratie stossen die Kunstschaffenden des Landes entscheidende Debatten über das Zusammenleben an.

Wie lange dauert eine Revolution? Das ist die Frage, die in Algerien derzeit viel diskutiert wird. Seit fast einem halben Jahr dauern die Massenproteste gegen die amtierende Regierung Algeriens schon an. Nach wie vor erobern hunderttausende Menschen jeden Freitag die Strassen, um ihre Forderungen nach Gerechtigkeit und Demokratie kundzutun.

Proteste in Algerien

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Seit dem 22. Februar 2019 kommt es in Algerien landesweit zu massiven Kundgebungen, die sich zunächst gegen das angekündigte fünfte Mandat des 82-jährigen Präsident Abdelaziz Bouteflika richten.

Nach dessen Rücktritt am 2. April 2019 halten die Proteste jedoch an. Gefordert wird die Abdankung der gesamten politischen Elite des Landes.

Auch die algerische Filmemacherin Sofia Djama ist unter den Protestierenden. Sie verweist einerseits auf die elastische Auffassung von Zeit, die im afrikanischen und mediterranen Land herrschen. Andererseits auch auf die problematischen Vorstellungen von Demokratie der Bevölkerung.

Junge Leute laufen auf der Strasse, sie tragen die Algerische Flagge auf dem Rücken.
Legende: Auch Algeriens Jugend protestiert: Das Wochenende beginnt für viele mit einem Marsch auf der Strasse. Keystone / AMEL PAIN

«Wir haben in der Schule gelernt, Demokratie sei das totalitäre Recht der Mehrheit. Die Minderheiten und ihre Anliegen haben da keinen Platz», sagt sie. «Wir lernen erst jetzt, was Minderheitenschutz bedeutet. Solche demokratischen Werte zu entwickeln braucht Zeit.»

Die Gesellschaft hat gelitten

Die Zivilgesellschaft, die für die Demokratie notwendig ist, hat in Algerien unter der jahrzehntelangen staatlichen Repression sowie unter dem Bürgerkrieg der Neunzigerjahre enorm gelitten.

Die Schriftstellerin Wassyla Tamzaly sitzt auf einer Parkbank.
Legende: Betrauert die Zerstörung des kulturellen Lebens in Algerien: Schriftstellerin Wassyla Tamzali. imago images / GlobalImagens

Für die Schriftstellerin Wassyla Tamzali war vor allem die Zerstörung des kulturellen Lebens ein Schock. «Als ich 2001 nach Algerien zurückgekehrt bin, habe ich das Land kaum wiedererkannt», sagt sie.

«Viele Kulturinstitutionen wie etwa die Cinémathèque Algérienne, ein wichtiger Treffpunkt für Begegnungen und Gespräche, waren geschlossen. Diese Räume der Freiheit waren einfach verschwunden.»

Öffnung nach der Entfremdung

Tamzali hat die Initiative ergriffen und in Algier das Kulturzentrum «Les Ateliers Sauvage» gegründet. Dieses hat sich zu einem wichtigen Ort des gesellschaftlichen Lebens in der Hauptstadt entwickelt.

Vier Frauen mit Kopftuch und Algerien-Flagge auf der Strasse.
Legende: Freitags gehören die Strassen ihnen: Frauen und Männer kämpfen für ihre Freiheit. SRF / Dominique Laleg

«Die Künstler öffnen unseren Geist, um uns zu zeigen, wer wir sind. Die postkoloniale Zeit hat uns von uns selbst entfremdet. Von unseren Gefühlen, von der Liebe, ja selbst von der Menschlichkeit, was etwa am Umgang mit uns Frauen deutlich wird.»

Raum für Freiheit

Als sich die Künstlerinnen und Künstler Algiers im Zuge der Aufstände dazu entscheiden, öffentliche Debatten zu organisieren, ist für Tamzali klar: Dies muss auf der Strasse stattfinden.

«Wir waren über Jahre unfrei in diesem Land und plötzlich hat sich ein Raum für Freiheit geöffnet», sagt die Schriftstellerin. «Davon müssen wir maximal Gebrauch machen. So sind die Debatten auf den Treppen des Théâtre National Algérien entstanden.»

Jeden Montag versammeln sich vor dem imposanten Kolonialbau im Stadtzentrum alle Interessierten, um gemeinsam Themen wie Gewaltenteilung, Minderheitenschutz oder die Gleichstellung der Geschlechter zu diskutieren.

Das Problem? Die Bürger

Was auf Grund von jahrzehntelangem Versammlungsverbot undenkbar war, ist plötzlich real geworden. Es ermöglicht der Bevölkerung, was für jede Demokratie grundlegend ist: Das freie Gespräch über Formen des Zusammenlebens.

Für Tamzali ist die Revolution daher nicht bloss politisch, sondern vor allem auch gesellschaftlich. «Natürlich ist die Politik in Algerien ein Problem», sagt sie. «Ich behaupte jedoch, dass zunächst wir Bürgerinnen und Bürger selbst das Problem sind. Wir brauchen Zeit, um an unseren Konzeptionen von Individualität, Freiheit und Solidarität zu arbeiten.»

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