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Künstliche Models Ewig jung, schön, virtuell

Platz da, YouTuberInnen und Influencer. Immer mehr virtuelle Promis drängen sich in unsere Social-Media-Feeds. Ob wir's merken?

«Ich bin 19. Das bin ich nun schon drei Jahre lang», schreibt Miquela Sousa in einem Post. Aufs Altern verzichtet sie, weil sie es kann. Die ewige 19-Jährige ist die wohl bekannteste virtuelle Instagram-Figur.

Als digitale Diva trägt sie Prada, Nike, Gucci und ihre zwei Markenzeichen: Sommersprossen und Ponyfrisur. Kreiert haben sie Visual-Artists aus Los Angeles.

Miquela wurde als Avatar erschaffen und als computergenerierter Influencer erzogen. Mit Erfolg. Miquela zählt 1.5 Millionen Follower und wird von echten Modehäusern gebucht. Für Chanel, Supreme und Vogue stand das virtuelle Model – man möchte sagen – vor der Kamera.

Doch die Kleider und Accessoires wurden ihr nicht auf den Leib geschneidert, sondern auf den digitalen Körper gerendert und modelliert.

Im April 2016 gibt’s den ersten Instagram-Post von Miquela. Erst im letzten Jahr wurde aus dem Internet-Phänomen aber eine gestandene Figur in der Modewelt oder auch: ein legitimes Unternehmen. Ausserdem bekam Miquela Gesellschaft: auch Lil Wavi, Blawko, Bermuda, Noonoouri und Shudu sind digitale Figuren, die sich im Netz als virtuelle Markenbotschafter bewegen.

Virtuelle Botschafter, echte Produkte

Letztere, ebenfalls ein bildhübscher Avatar, ist ein schwarzes Model mit leuchtend brauner Haut. Erschaffen hat sie der 29-jährige britische Modefotograf Cameron-James Wilson.

«Warum Fotoshootings organisieren, wenn man seine Bilder zu 100 Prozent kontrollieren kann?», dachte er sich wohl und griff zur Maus, statt zur Kamera. Mittlerweile fotografiert er Models nicht mehr, er erschafft sie.

Wilson ist Gründer der ersten Model-Agentur, die ausschliesslich digitale Schönheiten im Katalog führt. Im Repertoire von «The Diigitals» finden sich neben Shudu auch die blonde, französische Margot und Zhi, eine asiatische Schönheit.

Die grösste Resonanz bekam Wilson aber, als er ein Bild von Shudu mit leuchtend orangem Lippenstift postet. Viele erkannten nicht, dass es sich beim digitalen Model um eine computergenerierte Figur handelt.

Die Kunst, natürlich auszusehen

Auch wenn Shudu ein symmetrisches, fast makelloses Gesicht hat: Die Kunst Wilsons Arbeit besteht eben nicht darin, Unvollkommenheiten wegzuphotoshoppen, sondern Natürlichkeit einzuarbeiten.

Das gelingt ihm sichtlich, sorgt aber auch für Kritik . Denn Shudu, ein schwarzes Model, das der Fantasie eines weissen Mannes entspringt, ist eine Form kultureller Aneignung, die es den echten schwarzen Models und anderen «People of Color» erschwere, es ganz nach oben zu schaffen.

Wilson verteidigt sich mit der Begründung, es gehe ihm um «Diversität» – und rendert weiter: Im letzten Jahr sind das Plus-Size-Model Brenn und das schwarze Mannequin Koffi dazugekommen.

Was heisst schon real?

Noch nähert sich Wilson der Realität an, wenn es um Schönheitsstandards geht. Aber die Frage, die ihn wirklich umtreibt, ist: «Welche Schönheits-Standards hält die digitale Welt für uns bereit?»

So dringt er auch in die Fantasiewelt ein, indem er das erste Alien-Model Galaxia erschuf – mit türkiser Haut und rosa Spitzohren.

Viele reale Influencer nennen Authentizität als Grund ihres Erfolgs. Die neuen Player des Social-Media-Spiels stellen diese aber infrage.

Miquela, Shudu und Co. spielen mit der Darstellung von Echtheit im Netz – und konfrontieren uns mit der Frage: Wenn alles inszeniert ist, was macht eine reale Person aus?

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